Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
neumodisch heißt) läuft bereits, und ich bekomme zusätzlich noch Personalrabatt. Dadurch wird Luxus sogar für eine Postboten-Witwe erschwinglich.
Im Moment schwanke ich noch zwischen dem klassischen Pulli in Beige mit Rundhalsausschnitt und dem etwas gewagteren in Cyclamrot mit V-Ausschnitt. Wäre ich eine
Pilcher-Figur,
müsste es natürlich der konservative beige sein. Dazu würde ich einen schmalen knielangen Rock und eine echte Perlenkette tragen. Selbstredend ein Erbstück mit Brillantschließe. Aber ich bin keine Romanfigur und besitze auch keine ererbte Perlenkette, nicht mal eine unechte.
Bevor ich zuschlage, bitte ich meine Kollegin Lissy um Rat, die einen treffsicheren Geschmack hat, wie ich in den letzten Wochen neidlos beobachten konnte.
«Den V-Pulli in warmem Pink mit dem Schuss ins Lila», entscheidet Lissy, ohne lange zu überlegen. «Der wirkt super zu deinen rötlich-braunen Haaren. Du solltest dir auch noch einen passenden Lippenstift dazu leisten. Das ist
der
Trend.» Nach einem prüfenden Blick auf mein zerknautschtes Haar fügt sie hinzu: «Würde dein Budget noch einen Friseurbesuch zulassen?»
«Schon verstanden», entgegne ich lachend.
Lissy hat natürlich recht. Neuer Edelpulli mit oller Witwenfrisur ist kein besonders aufregender Look, mit dem man jemand vom Kaminfeuer weglocken könnte. Auf dem Heimweg schaue ich deshalb bei meiner Friseurin vorbei. Die treffe ich am Tresen bei ihrer Kaffeepause an. Ich wage zu fragen, ob sie vielleicht noch einen Termin frei habe. «Na klar», ist die lachende Antwort. «Jetzt!» Im ersten Moment halte ich es für einen berechtigten Scherz, denn wer ist schon so naiv zu glauben, einen Tag vor Weihnachten überhaupt noch dranzukommen. Geschweige denn ohne Voranmeldung. Aber dann versichert sie mir, eine Kundin habe abgesagt, und ich könne sofort Platz nehmen.
Das nenne ich ein Weihnachtswunder nach meinem Geschmack. Bleibt nur noch zu klären, wann Katja losfahren möchte. Wir haben vereinbart, dass ich nach meiner Schicht zu Hause auf ihren Anruf warte. Wie sich herausstellt, ist Bernd noch in der Schule und wird nicht vor drei zurückerwartet.
Mehr als
ein
glücklicher Zufall ist natürlich im doppelten Sinn beglückend, grundsätzlich finde ich dergleichen aber unheimlich. Wenn da mal nicht das dicke Ende an der nächsten Ecke wartet. Meine heimliche Angst könnte aber auch die Summe an Erfahrungen sein. Hermanns vorzeitiger Tod, beispielsweise. Er hatte sich so sehr auf einen gemütlichen Lebensabend gefreut. Auch über die Hausmeisterstelle, die unsere Haushaltskasse aufgebessert hat und uns so manchen Luxus ermöglicht hätte. Aber dann … Bei diesen trüben Gedanken erinnere ich mich, dass ich ihm ein neues Grablicht vorbeibringen wollte. Dummerweise muss ich es erst noch im Drogeriemarkt besorgen. Aber das schaffe ich auch noch irgendwie, und Hermann läuft mir ja nicht weg. Der zweideutige Gedanke lässt mich grinsen, und jetzt freue ich mich auf eine neue Frisur, die mich vom Packengel in eine attraktive Frau verwandelt.
Frisch geföhnt, getönt und um Jahre verjüngt, begebe ich mich dann auf den Heimweg. Zum Drogeriemarkt ist es nur ein winziger Umweg, dem ein kleiner Schlenker zum Friedhof folgt. Anschließend eile ich in meine Dachstube, schütze die neue Frisur mit einer Plastikhaube und spüle mir unter der heißen Dusche den Kaufhausstress ab. Als Katja sich dann immer noch nicht gemeldet hat, bereite ich mir eine belebende Tasse Kaffee zu, den ich in Kaschmir gewandet genieße. Sozusagen eine Generalprobe ohne Kaminfeuer. Herrlich.
Kurz nach drei sitze ich endlich zwischen meinen Enkeln im Fond. Bereit für das große Coloradotannen-Abenteuer. Die allgemeine Stimmung ist friedlich, Katja so fröhlich wie schon lange nicht mehr, und Bernd legt den lustigen
Christmas im Eimer
-Song ein. Alle singen mit – ich ziemlich falsch.
«Oma, wann sind wir endlich dahaaa?», fragt Eric, sobald Bernd sich durch den Stadtverkehr gekämpft hat und auf die Autobahn Richtung Garmisch-Partenkirchen einbiegt.
«Wir fragen mal den Fahrer», antworte ich ausweichend.
«Ungefähr dreißig Minuten», sagt Bernd.
«Dauert so lange wie Frühstücken bei mir», übersetze ich, denn kleine Kinder können sich unter Zeitangaben in Minuten wenig vorstellen, was Bernd eigentlich wissen sollte.
«Och, ssooo lange noch», schmollt Jan und strampelt mit seinen Beinen gegen Bernds Rückenlehne, als könne er Gas geben. «Fahr ssneller, Papa.
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