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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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meines Lebens. Cora ging schwankend ans Telefon.
    »Seit wann ist Majas Vater hier?« fragte sie Emilia, die das nicht wußte. Sie hatte ferngesehen und sich nicht um den Krach im Erdgeschoß gekümmert. Ich bezweifelte, daß man Vater aus dem Krankenhaus entlassen hatte, wahrscheinlich war er wieder geflohen.
    Der Krankenwagen war schnell da. Man hob die beiden Körper auf Tragbahren und verfrachtete sie vorsichtig. Offensichtlich waren sie nicht tot.
    Cora, Emilia und ich saßen in der Küche und froren trotz der Hitze. Wir waren die störenden Männer vorerst los, konnten uns aber über diesen Sieg nicht freuen. Die Angst saß uns im Nacken.
    »Hennings Gesicht war weiß wie Alabaster«, flüsterte Cora.
    Emilia holte sich meinen Sohn, um an seiner Seite Frieden im Bett zu finden, während ich zu Cora ins leere Ehebett schlüpfte.
    »Wäre es nicht korrekt«, sagte Cornelia, »wenn ich im Krankenhaus weinend auf Auskunft der Ärzte warte? Wie sieht das überhaupt aus, daß wir nicht mitgekommen sind? Auf, wir müssen uns wieder anziehen und hinfahren.«
    Es fiel mir schwer, mich aus dem heilenden Bett zu begeben. Wir sagten Emilia, daß wir ins Krankenhaus fahren wollten. Sie nickte: »Ihr seid kluge Mädchen.«
    Im Krankenhaus wurden wir mit Zuvorkommenheit behandelt und ins Oberarztzimmer geleitet. Die Schwester machte ein Gesicht, als seien alle Patienten tot. Aber so war es nicht. Wir erfuhren, daß Henning einen doppelten Schädelbasisbruch mit Austritt von Hirnsubstanz hatte und sofort operiert werde. Mein Vater sei zwar bewußtlos, aber nicht in Lebensgefahr. Man kannte ihn bereits gut, denn er war erst heute aus genau diesem Krankenhaus entwichen. Auf dem Röntgenbild sehe man keine Knochenverletzungen. Wir könnten im Moment hier nichts ausrichten, sagte der diensttuende Arzt, und sollten heimgehen. Man werde uns telefonisch benachrichtigen, wenn es nötig sei. Erleichtert fuhren wir davon.
    Als wir zum zweiten Mal im Bett lagen, sagte Cora hysterisch: »Meinst du, daß dein Vater gesehen hat, was du gemacht hast?«
    »Das glaube ich kaum. Alle beide waren völlig weggetreten.«
     
    Unser Schlaf war von kurzer Dauer. Man rief vom Krankenhaus an, daß Henning die Operation nicht überlebt hätte. Als wir erneut in unsere Kleider fuhren, rief auch die Polizei an. Wir sollten nichts am Tatort verändern, sie seien in Kürze da. »Ich ziehe das Grüne wieder aus«, sagte Cora, »schwarz ist angesagt. Gib mir mal deinen Leinenrock.«
    Noch bevor wir mit unserer Trauerkleidung fertig waren, schellte es, und die Polizisten kamen. Emilia öffnete mit dem weinenden Béla auf dem Arm. Cora lauschte angestrengt an der Treppe, während sie sich schwarze Strumpfhosen über die braunen Beine wurstelte. »Hoffentlich macht Emilia keinen Scheiß«, meinte sie und beeilte sich.
    Als wir das Wohnzimmer betraten, redete Emilia wie ein Wasserfall. Aber die Polizisten hörten nicht mehr zu, als Cora ihren Auftritt hatte. So jung, so schön, so rein und doch vom Schicksal schon gezeichnet! Die Gesetzeshüter sprangen auf, entschuldigten ihr Hiersein und versuchten, ihr Mitgefühl in Worte zu fassen. Cora sank in einen Sessel und bekam Wasser gereicht. Nach einer Pause sprach Emilia weiter. Sie erzählte von schrecklichen Exzessen der beiden Trinker, vom unendlichen Leid der jungen Damen und dem allgemeinen Aufatmen, als mein Vater im Krankenhaus lag und Henning auf Mineralwasser umstieg.
    Nun wurde der Tatort besichtigt. Ein wenig habe sie schon aufgeräumt, sagte Emilia mit unschuldiger Bauernschläue. Die Polizisten sammelten Flaschen und Scherben ein, fotografierten die Blutspuren und zeichneten mit Kreide die mutmaßliche Lage der Verletzten auf den blutigen Boden. Auch wir erzählten von unserem Entsetzen, als wir am Abend vom Strand zurückkamen. Cora hatte sich gefaßt und konnte genau sagen, an welcher Surfschule wir gelagert, welche Pizza wir gegessen und an welcher
    Tankstelle wir gehalten hatten. Ich bestätigte immer alles, aber meine Rolle war uninteressant für die Beamten.
    Als die Polizei ging, fuhren wir ins Krankenhaus. Meinem Vater gehe es besser, erfuhren wir, aber er sei bis auf weiteres nicht vernehmungsfähig. Man habe alles getan, um Henning zu retten, aber bei der schweren Verletzung sei sein Tod unvermeidbar gewesen. Ob Cora ihn sehen wolle. Sie sagte, daß sie nicht dazu fähig sei. Sie mußte ein Formular unterschreiben und ihre Einwilligung zur Obduktion geben. Endlich fuhren wir nach Hause. »Wir

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