Die Häupter meiner Lieben
Henning wollte nicht mit, er habe sich zu einer wichtigen Golfpartie verabredet. »In Wahrheit hat er Angst, daß ihm der Meeres wind die Glatze freilegt«, sagte Cora, und wir fuhren mit Béla im Auto los, Henning sollte sich ein Taxi nehmen.
Am Meer war es laut, voll, schmutzig und wunderbar. Wir liehen einen Sonnenschirm und lagerten neben einer Surfschule. Béla, der wie ein Weltmeister in der Gegend herumkrabbelte, war glücklich. Er hatte so viel zu gucken und zu grabschen, daß er mittags auf unserer Matte lag und fest schlief. Cora versuchte sich im Surfen und lernte dabei einige schöne Papagalli kennen, die ihr immer wieder aufs Brett halfen. Aber sie blieb brav bei meinem Kind und paßte auf, als ich mich ins Wasser stürzte. Zwischendurch holten wir uns Pizza auf die Hand. Mineralwasser, Obst und Babynahrung hatten wir mitgebracht. Es war ein herrlicher Tag, ich fühlte mich wieder ganz jung und unbeschwert. »So müßte es immer sein«, sagte ich zu Cora.
»Eine klitzekleine Yacht wäre auch nicht schlecht«, meinte sie.
Das Faulenzen hatte ermüdet, wir fuhren relativ spät heim. Hätten wir gewußt, was uns dort erwartet«, wir wären die ganze Nacht am Meer geblieben.
Weiß wie Alabaster
Manchmal sehen die Wolken aus wie Krokodile. Wenn meine Touristen Nackensteife beim Betrachten der Domkuppel bekommen und ich zum hundertsten Mal sage, daß sich der Name »Santa Maria del Fiore« auf die Lilie im Stadtwappen bezieht, dann schaue ich meist nicht auf Brunelleschis Werk, sondern auf das Wolkenspiel. Ich entdecke nicht nur Alligatoren am Himmel, auch zornige Jäger, Engel mit Posaunen, Teufel mit dreizackigen Mistgabeln und andere Gestalten des Jüngsten Gerichts tummeln sich über mir. Zuweilen habe ich Angst. Mein Leben verläuft im Augenblick in sogenannten geordneten Bahnen, wenn man von den kleinen Spaßen beim Begaunern und Klauen einmal absieht. Ich verdiene Geld und sehe gut aus, ich habe einen allerliebsten Sohn und gute Freundinnen - aber ich habe kein allzu großes Vertrauen in die Zukunft. Es gibt Dinge in meinem Leben, die ich noch nicht verarbeitet habe. Dazu gehört jene Nacht, als Cora und ich mit dem schlafenden Kind von unserem Ausflug ans Meer zurück in die rosa Villa kamen.
Es war erstaunlich still im Haus. Ich trug Béla in mein Zimmer, um Emilia nicht zu stören. Cora verschwand im Bad. Gemeinsam betraten wir wenige Minuten später die Küche, um uns noch etwas zum Essen zu organisieren. Sowohl mein Vater als auch Henning lagen blutend auf dem Terrazzo-Boden, Schnittwunden im Gesicht, Platzwunden am Kopf, zerschmetterte Flaschen und Glasscherben in allen Ecken. Es roch nach Erbrochenem. Beide waren stockbetrunken, aber auch verletzt. Ihr Schnarchen hörte sich eher wie Röcheln an. Wir blieben angeekelt stehen und sagten kein Wort. Schließlich ging ich an die Spüle und füllte einen Eimer mit Wasser, um ihn über meinem Vater zu entleeren.
»Halt«, sagte Cora, kaum hörbar, »das ist eine Gelegenheit, die nie mehr wiederkommt.«
Ich sah sie aufmerksam an. Cora nahm ein Küchenhandtuch und wickelte es um einen Flaschenhals. Sie packte diese Waffe, trat mit entschlossenem Gesicht auf Henning zu, holte aus und ließ die schwere Flasche wieder sinken. »Ich kann nicht. Immerhin habe ich mit ihm geschlafen.« Mit verzerrtem Ausdruck reichte sie mir die Chiantiflasche.
Ich griff mit beiden Händen zu und schlug sofort auf den Kopf, dreimal mit aller Kraft. Man hörte förmlich, daß etwas kaputtging. Aber auch in meinem Inneren zerbarst ein Damm: die angestaute, unerhörte Wut auf alle Menschen, die es besser hatten als ich, entlud sich befreiend wie ein Gewitter.
Mit äußerster Konzentration sah Cora zu. Wir hörten ein leises »Bravo« und sahen Emilia in der Tür stehen. Cora nahm mir nun die Flasche ab und drehte sich zitternd nach meinem Vater um. »Geht beide raus«, befahl sie auf italienisch.
»Ihr habt wohl den Verstand verloren«, sagte Emilia, »gib mir die Flasche!«
Ich taumelte aus der Küche. Was hatte Cora überhaupt vor? Erst als sie neben mir stand und man aus der Küche seltsame Geräusche hörte, ahnte ich, daß sie meinen Vater totschlagen wollte und Emilia dieses Werk nun wohl fortsetzte.
Emilia kam herein. »Ihr müßt einen Krankenwagen rufen. Ihr behauptet, daß ihr gerade erst heimgekommen seid - was ich bezeugen kann - und die beiden in diesem Zustand vorgefunden habt.«
Cora und ich rauchten. Es war eine der ersten Zigaretten
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