Die Häupter meiner Lieben
besonders anlehnungsbedürftig. Ohne Vorwarnung warf ich mich Friedrich an den Hals.
Coras Eltern hatten ihn als Unterhändler geschickt, denn sie waren in großer Sorge. Einerseits bekamen sie deutlich zu spüren, daß sich ihre Tochter jegliche Einmischung in ihr Liebesleben verbat, andererseits litten sie aus Verantwortungsgefühl unter der Vorstellung, womöglich nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben.
Doch davon war im Augenblick nicht die Rede. Friedrich, der sich damals in der Toskana von Annie abgewandt und in mich verliebt hatte, glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Erregt wie ich war, dürstete ich nach einem vertrauten männlichen Wesen wie ein Delirant in der Wüste. Wir liebten uns, als hätten wir lange darauf gewartet. Dann erst erzählte ich ihm, was ja irgendwann gesagt werden mußte: Seine Schwester hatte geheiratet und war heute Witwe geworden. Der reiche Mann war von meinem Vater im Suff erschlagen worden. Inzwischen glaubte ich selbst fast an diese Version, schließlich war es nicht das erste Mal, daß Vater so gehandelt hatte.
Es war gut, daß Friedrich nun da war. Er half bei allen Formalitäten, die Cora bevorstanden, er kümmerte sich um rechtliche Angelegenheiten und fuhr mit seiner Schwester zum Notar und Konsulat. Er verstand es, die Eltern schonend zu benachrichtigen und doch fernzuhalten.
Friedrich und ich holten alles nach, was ich in den letzten Monaten nicht gehabt hatte; an Jonas dachte ich nicht. Ich war bei allem Streß im Trauerhaus glücklich und leicht überdreht, ohne mir Gedanken um die Zukunft zu machen. Cora betrachtete unser Liebesglück ohne Neid, ja mit Wohlwollen; sie habe immer schon gewußt, daß »mal ein Klick passiere«.
Emilia, die schließlich Jonas auch kannte, schloß Friedrich in ihr Herz. Offensichtlich gehörte sie nicht zu den Moralaposteln, denn es konnte ihr nicht entgangen sein, daß Cora mir ihr Ehebett abgetreten hatte. Wir waren jetzt drei junge Leute, ein Kleinkind und eine ältere Frau, die hier wohnten und sich gut vertrugen.
Coras Atelier wurde fertig, und sie fing unverzüglich an zu malen. Ihr Bruder fragte: »Wem willst du diesmal nacheifern? Michelangelo oder Giotto?«
Sie antwortete ganz ernsthaft: »Ich werde eine moderne Artemisia Gentileschi.«
Sowohl Friedrich als auch ich sahen Cora befremdet an: »Wer soll das denn sein?« fragte ich, und ihr Bruder bemerkte: »Gib nicht so an.«
»Ich nehme euch die Bildungslücke nicht übel, weil ihr die Ausstellung nicht gesehen habt. Artemisia wurde vor etwa vierhundert Jahren geboren und malte am liebsten Judith, wie sie dem Holofernes den Kopf abschlägt. Dabei hilft ihr eine Magd, die den Kerl auf sein Lager niederdrückt.«
»So was kenne ich von Guido Reni«, sagte ich gebildet, aber mir war diese Thematik nicht recht.
Doch es kam schlimmer; Cora meinte: »Du mußt mir für die Judith Modell stehen, Maja. Vielleicht ist Emilia dazu bereit, die Magd darzustellen. Friedrich, willst du Holofernes sein?«
»Nein, danke, jetzt spinnst du völlig«, sagte er.
Ich stand Cora Modell, denn es gab kaum etwas, das ich ihr abgeschlagen hätte. Beim Malen erzählte sie mir, daß sie sich stark mit der Gentileschi identifizierte, die im Alter von neunzehn Jahren durch einen Vergewaltigungsprozeß bekannt wurde. »Sie hat durch die Kunst ihre Neurosen überwunden«, meinte Cora, »und das gelingt mir vielleicht auch. Neurose ist übrigens das falsche Wort, ich meine Trauma.«
»Und wie soll ich meins loswerden?« fragte ich. Cora stand im schwarzen Trauerbikini in ihrem lichtdurchfluteten Atelier, während ich eine dicke blaue Gardine um mich drapieren mußte.
»Schwatz nicht so viel, du mußt heroisch aussehen«, befahl Cora, »aber auch nicht wie im Theater. Sei ganz Elefantin!«
Emilia machte ihre Sache besser als ich, aber sie brauchte auch keinen Säbel zu schwingen. Sie fühlte sich geschmeichelt, auf einem Gemälde verewigt zu werden, das sie >Il trionfo< nannte.
Friedrich hatte ihr geholfen, auf dem Markt einen jungen Hund zu kaufen, der dauernd irgendwohin pinkelte. Wir mußten ständig aufpassen, daß Béla nicht durch die Pfützen robbte.
Es war nicht zu ignorieren, daß Emilia ihre Pflichten weniger ernst nahm. Meistens vergnügte sie sich mit ihrem Hund Pippo und Béla im Garten. Da Cora und ich auf keinen Fall ihren Unmut erregen wollten, begannen wir selbst zu kochen.
Als Friedrich mich fragte, ob ich Lust auf einen sommerlichen Musikabend im Palazzo Pitti hätte,
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