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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Landschaft bestimmten. Dank der Berge gab es Täler und Ebenen, die wie vergnügte kleine Kinder aus diesen Bergen herausgerutscht waren. Ein paar waren klein geblieben, andere gewachsen, einige hatten ihrerseits etwas hervorgebracht, Flüsse, Wälder, andere waren leer geblieben, wirkten dabei aber nicht unglücklich. Menschen gab es in dieser Gegend nur wenige, so wenige, daß man es sich kaum vorstellen konnte. Wie da nämlich auf den Quadratkilometer zwei Zehntel eines Bewohners kamen und es somit einer ganzen Menge von Quadratkilometern bedurfte, um einen vollständigen Menschen zu ergeben. Das heißt, der Mensch stand an dieser Stelle des Erdballs einerseits einer Übermacht der Natur gegenüber, durfte andererseits eine beachtliche Fläche für sich in Anspruch nehmen.
    Wie auch jener dicke Mann, der da völlig allein die moosige Kuppe der nach sämtlichen Seiten steil abfallenden Anhöhe besetzte. – »Dick« ist eigentlich das falsche Wort, und auch »fett« hätte nur ungenau sein Aussehen beschrieben. Er war kein Koloß und auch kein Freak. Sein Dicksein war grundsätzlich und ausschließlich, existierte unabhängig von allen anderen Erscheinungsformen. Es war sowenig ein Kontrapunkt zum »Dünnsein« oder »Schlanksein«, wie ein Walroß den Kontrapunkt zu einem Seepferdchen darstellt.
    Dieser Mann beherrschte den ihn umgebenden Raum, füllte den Raum zur Gänze. Da war keine Lücke, kein Platz auch nur für ein Krümelchen. Ja, man konnte sich vorstellen, wie selbst Bakterien ein Problem damit hatten, in nächster Nähe zu diesem Mann eine Nische zu finden. Darum war es auch nur normal, daß er sich nicht bewegte, sondern starr, aber nicht leblos den Ort dominierte, schwer atmend, gewissermaßen der Luft die Luft entziehend und sie ihr in einem stark veränderten Zustand zurückgebend. Darum nämlich, weil dieser Mann eine Zigarette im Mund hatte. Selten sah man ihn ohne das glühende Röhrchen zwischen seinen Lippen. Er qualmte und qualmte und verwandelte immer wieder aufs neue die Luftverhältnisse in seiner Umgebung. Selbst hier oben, wo man praktisch mit der Hand in den Himmel fassen konnte – was er freilich niemals getan hätte, den Himmel angreifen, als sei’s ein befreundeter Hintern oder so – und wo ein eisiger Wind wehte, rauchte er in derselben gelassenen, den Standpunkt der Ewigkeit einnehmenden Art. Allerdings war auch er gezwungen, sich die jeweils neue Zigarette am Stummel der alten anzuzünden, tat dies jedoch auf eine kaum merkliche Weise, seine fleischigen Ärmchen praktisch unter der Hand bewegend, so zeitlupenartig wie zügig, die Aktion vom eigenen Schatten verdeckt. Das geschah hier oben in der gleichen Weise, wie es auch in einem überfüllten Restaurant geschehen wäre. Nur, daß sich in den Restaurants die Leute stets gewundert hätten, daß dieser »schnaufende Fleischberg« schon wieder eine neue Zigarette im Mund hatte. Ein Mensch, dem mit keinem Rauchverbot der Welt beizukommen gewesen wäre.
    Nun, in einem Restaurant war der dicke Mann, der den Namen Spiridon Kallimachos trug, schon lange nicht mehr gewesen. An diesem Flecken der Erde gab es keine Restaurants, bloß eine Kneipe, unten im Dorf, das jedoch kein richtiges Dorf war, sondern eine Ansiedlung, eine Ansiedlung ohne Namen, genaugenommen ein Versteck. Tag für Tag trugen die Männer, die dort zusammen mit Kallimachos lebten, den massigen Griechen in einer Sänfte den Berg hoch. Denn natürlich wäre er selbst niemals in der Lage gewesen, sein Gewicht (diesem Gewicht nun eine Zahl zu geben hätte bedeutet, es zu entehren) den steilen Weg nach oben zu schleppen. Nichtsdestoweniger bestand Kallimachos darauf, während des kurzen Sommers jeden Nachmittag ein, zwei Stunden an dieser Stelle zu verweilen und hinunter ins Land zu schauen. Wenn er denn tatsächlich schaute. Was genau er unternahm, konnte ja niemand sagen, außer natürlich, daß er rauchte. Dennoch wäre keiner von den jungen und alten Männern sowie den Kindern, die Kallimachos gleich einem Buddha auf ihren Schultern transportierten, auf die Idee gekommen, seinem Wunsch zu widersprechen oder gar dessen Sinn in Frage zu stellen. Alles, was Kallimachos tat, vor allem jedoch die Dinge, die er in auffälliger Weise nicht tat, wurden als bedeutsam erkannt. Als etwas Göttliches, aber nicht

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