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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Jagd besteht. Ganz sicher nicht darin, aufzuhören, wenn es am schönsten ist. Wobei ich gestehen muß, daß ich dachte, das gebe es nur im Märchen: daß das Wild zurückschießt.«
    Â»Verschonen Sie mich«, bat Ivo. Und fügte an: »Verarzten Sie Ihren Kumpel, bringen Sie ihn zurück und lassen uns in Frieden.«
    Â»Wenn Sie wirklich Frieden haben wollen, dann sagen Sie Ihrer Freundin, sie soll jeden von uns abknallen. Friede ist nämlich, wenn alle schlafen. Oder denken Sie, bloß wegen der Perforation einer Wade stellt sich der Friede ein?«
    Da nun aber Ivo keinen derartigen friedenstiftenden Befehl aussprach, runzelte der Baden-Badener die Stirn und gab dem Karlsruher Kollegen ein Zeichen. Offensichtlich fungierte dieser als Sanitäter der Truppe. Er kniete sich zu dem Verwundeten hin, öffnete eine kleine Tasche und ging daran, das Bein abzubinden, die Wunde zu desinfizieren und einen Verband anzulegen. Es handelte sich um einen Durchschuß, der aber wegen der Nähe zur Hautoberfläche sowie der heftigen Wirkung, die sich aus der geringen Schußdistanz ergeben hatte, eine offene Rinne bildete. Gleichzeitig war dies eine vergleichsweise harmlose Geschichte. Gewollt harmlos. Denn Galina hatte ja das Prinzip der »Verletzungsjagd« übernommen, indem sie das »Wild« bloß angeschossen hatte. Auf diese Weise war die Gruppe der Jäger gezwungen, sich vorerst mal um ihren Verletzten zu kümmern. Ihn zurück zur Hütte zu bringen, einen Helikopter anzufordern und sich vielleicht zu überlegen, ob es nicht besser wäre, an einem anderen Ort ihrem Hobby zu frönen.
    Es war jetzt aber Ivo, der sagte: »Wir gehen!« Dabei sah er hinüber zu Galina. Sie schien ihn jedoch nicht zu verstehen, so als sei sie sofort nach der Schußabgabe wieder ihrer Taubstummheit verfallen. Darum hob Ivo nun die Hand und deutete mittels einer Geste den Rückzug an. Was auch sogleich geschah. Wobei Galina sich an Spirou festhielt und noch einige Zeit rückwärts ging, um weiterhin die Schläfe des Oberjägers im Visier zu behalten.
    Das Gejammer des Australiers wurde nach und nach von den Geräuschen der Natur überlagert. Spirou, Galina und Ivo kehrten zurück zu der Stelle, an der sie ihr Gepäck versteckt hatten. Sie beschlossen, das Bachufer zu verlassen und den steilen Wald hochzusteigen, in Richtung eines im Plan eingezeichneten Plateaus, an dessen Rand sie ihr Lager aufschlagen wollten. Denn obgleich sie alle noch kurz zuvor mit dem Tod, wenigstens mit einer Gefährdung ihrer Unversehrtheit bedroht worden waren, schien der Gedanke unmöglich, die Expedition abzubrechen. Sie waren in diese Gegend gereist, um einen Baum zu finden. Sie waren Gefangene dieser Suche. Und damit auch dieses Ortes.
    Sie kletterten die Steigung nach oben, ihre Schuhspitzen in die feuchte Erde stoßend. Jetzt kam endlich auch Ivo ins Schwitzen. Ein Keuchen ging um in Gestalt eines dreistimmigen Chors.
    Nachdem sie alle die von einer Strauchflechte pelzartig überzogene Ebene erreicht hatten, wurden im Schutze einer natürlichen Felshalde die beiden Zelte aufgestellt, eine Feuerstelle errichtet, und Galina begann mit den Vorbereitungen für eine Suppe. Sie sprach kein Wort, und als Ivo sie von hinten anredete, um sie zu testen, zeigte sie nicht die geringste Reaktion.
    Ivo nahm Spirou zur Seite und fragte: »Ist unsere Suppenköchin jetzt taubstumm oder nicht?«
    Â»Meistens ist sie das«, antwortete Spirou. »Ich kann es auch nicht erklären. Es ist wohl eher … wie sagt man? Eine psychische Sache.«
    Damit mußte sich Ivo vorerst zufriedengeben. Stimmt schon, es gab Leute, die waren an den Beinen gelähmt, ohne daß eine organische Schädigung vorlag. Manche bekamen Halsschmerzen, wenn sie bloß mit jemand Verkühltem telephonierten. Und auch die Ursachen des Stotterns lagen im Dunkeln. Und ob der Lidkrampf, der Ivo in seinen römischen Jahren soviel Blindheit beschert hatte, bloß Folge einer Infektion gewesen war … Nun, bei vielen von diesen Phänomenen schien das ausschlaggebende Moment das der Angst zu sein. Die Angst schnürte den Menschen ein. Doch genau darin lag allerdings die Merkwürdigkeit im Falle Galinas, die ja ausgerechnet in einem Moment größter Bedrohung zu reden und zu hören begonnen hatte, während Ivo in seiner Panik verstummt war. Benötigte Galina die

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