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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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hielten nämlich eine aus einfachen Holzstämmen und Seilen gefertigte Sänfte, die nichts Sanftes hatte, grob wirkte, ohne Polster und Decken auskam, ohne Schmuck, aber robust. Auf dem befestigten breiten Stuhl saß ein Mann. Ein dicker Mann, richtig dick, aber nicht in der Art der dicksten Männer der Welt. Denn bei aller ausufernden Schwammigkeit, die im einzelnen, Glied für Glied, gegeben war, besaß dieser Mann etwas absolut Kompaktes. Als hätte man eine gewaltige Schloßanlage, mit allem Drum und Dran, bis hin zu den Gewächshäusern und Labyrinthen, zu einem einzigen Objekt zusammengequetscht, so daß irgendwie drin in diesem Objekt auch der Schloßbesitzer und sein Hofstaat steckten. Dieser so dicke wie massereiche vielleicht sechzigjährige Mann trug einen schwarzen Anzug, einen schwarzen Hut und schwarze Schuhe. Und als nun Ivo näher kam und auch die Beendigung des »Kaugummikauens« nichts an dem Anblick änderte, da bemerkte er die Zigarette im Mund des auf der Sänfte Sitzenden. – Na gut, noch immer gab es Zigaretten und gab es Raucher, im Osten Rußlands sowieso, das war also nicht unbedingt eine Sensation zu nennen. Aber die Art, wie dieser Mann rauchte, wirkte einmalig. Eine Lok aus alten Tagen hätte kaum würdevoller schmauchen können. Diese Zigarette war ein schlanker Schornstein im Munde einer Buddhastatue. Dazu kam, daß der Mann den Glimmstengel kein einziges Mal anfaßte, sondern, an dessen Ende angelangt, eins von den Kindern zu ihm hochkletterte, ihm die Kippe aus dem Mund nahm, an der Glut eine neue entzündete und ihm diese sodann in den Mund steckte.
    Bei sämtlichen Personen, die diesen vollendeten Raucher auf einer Sänfte trugen, handelte es sich um Bewohner des Berglandes, Ewenken, deren Gesichter eine indianische Grobheit besaßen, eine schöne Grobheit, geschnitztes Holz, welches die Handschrift des Schnitzers erkennen ließ. Kinder wie Erwachsene waren mit westlicher Markenware bekleidet, die jedoch stark abgetragen war: löchrig, fleckig, durchscheinend, allerdings bereichert um kleine Objekte aus Fell und Knochen und Pflanzenteilen, die an die Kleidung genäht waren. In den Haaren der Frauen steckten weiße Blüten, manchmal ganze Kränze. Es sah aber nicht so aus, als würden diese Leute mit einer volkstümlichen Feiertagsbekleidung durch die Gegend laufen, damit ein zufällig vorbeikommender Ausländer ein paar hübsche Photos schießen konnte. Nein, das waren weder »edle Wilde«, noch konnte man sie mit jenen Schischaukelvölkern der europäischen Alpen vergleichen, die zu absolut jeder Kasperliade bereit waren. Dagegen wirkte diese Gruppe von Menschen vollkommen eigenständig, hermetisch und geheimnisvoll.
    Der dicke Mann besaß eindeutig die Züge eines Westmenschen, auch wenn seine vom Gesichtsfleisch bedrängten Augenschlitze über einen asiatischen Anklang verfügten.
    Â»Wer ist das denn bitte?« wollte Ivo von Spirou wissen. Und spottete: »Der Marlboro-Mann im Dschugdschurland?«
    Spirou gab nicht gleich eine Antwort, sondern schaute gebannt auf die geradezu skulptural aufragende Menschengruppe. Nur die Kinder bewegten sich, die Träger hingegen waren im Tragen erstarrt und schauten in die gleiche Richtung wie der dicke Mann, hin zur fernen Küste des Ochotskischen Meers.
    Spirou murmelte etwas. Doch die kleinen Wörter verteilten sich im Wind wie die Flocken jener Asche, die von der Zigarette des Rauchers herunterbrach.
    Ivo forderte von Spirou: »Kannst du so reden, daß ich dich auch verstehe?«
    Spirou nickte, gab seiner Stimme einen Ruck und erklärte: »Ich dachte nicht, daß es ihn wirklich gibt.«
    Â»Wen?«
    Â»Den Großen Griechen.«
    Â»Wer ist der Große Grieche? Der auf der Sänfte?«
    Â»Er heißt Kallimachos«, sagte Spirou. Und berichtete, daß in einer ähnlich legendenhaften Weise wie im Falle jener unterirdischen Verbrecherrepublik namens Toad’s Bread auch die Existenz eines Griechen kolportiert wurde. Eines Griechen, von dem es hieß, er sei der Schamane einer kleinen Gruppe separatistischer Ewenken, die ein Dorf bewohnten, das ohne Namen war. Zumindest ohne offiziellen, so wie ja auch die höchste Erhebung des Dschugdschur namenlos geblieben war, etwas, das vom westlichen Standpunkt ungeheuerlich wirkte. Westmenschen konnten ja nicht einmal darauf verzichten, Goldfische,

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