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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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die sie in Gläser sperrten, mit einem Namen auszustatten: Hansi, Glupschi, Tolstoi, Killer und so weiter. Doch hier in Ostsibirien ließen sie eine über tausendneunhundert Meter hohe Erhebung einfach den Berg sein, der er war.
    Â»Und du meinst also, der dort ist dieser Kallimachos?«
    Â»Er muß es sein«, sagte Spirou mit hörbarer Begeisterung. »Es heißt, er sei unverwundbar.«
    Â»Wie soll ich das verstehen?«
    Â»Wenn man auf ihn schießt, dann …«
    Â»Dann prallen die Kugeln ab, gell?« höhnte Ivo.
    Â»Nein, sie machen einen Bogen, die Kugeln, sie weichen ihm aus.«
    Â»Na, damit sollte er eigentlich zum Fernsehen gehen.«
    Spirou blieb völlig ernst, als er jetzt antwortete: »Kallimachos, so sagt man, ist ein Gefangener der Ewenken.«
    Â»Ich dachte, er ist der Oberschamane. Und gefangen sieht er wirklich nicht aus.«
    Â»Ist er aber, gleichzeitig ein Gefangener und ein König.«
    Â»Ein gefangener König also.«
    Â»Nein. Wollen Sie mich denn nicht verstehen?« fragte Spirou, der zum ersten Mal Ivo gegenüber ärgerlich klang. Und in der Tat ist die Begriffsstutzigkeit der Erwachsenen für Kinder manchmal schwer auszuhalten. Aber Spirou blieb dennoch bemüht, Ivo beizubringen, daß in dieser speziellen Situation der Gefangene als Majestät behandelt wurde, als königlicher Schamane, der mittels seiner puren Existenz, seines rauchenden Vorhandenseins dieser überschaubaren Gruppe von Menschen einen spirituellen Rahmen verlieh. Sie taten alles für ihn, schleppten ihn durch die Gegend, die Berge hoch, damit er in die Ferne schauen konnte, kochten für ihn, wuschen ihn, ersparten ihm die Mühen des Zigarettenanzündens, aber sie konnten es nicht zulassen, daß er sie verließ, um etwa nach Griechenland zurückzukehren. Und das galt ebenso für die Frau.
    Â»Was für eine Frau? Kallimachos’ Frau?«
    Â»Die beiden sind nicht verheiratet, aber sie gehören zusammen.«
    Â»Eine Griechin?«
    Â»Ich glaube nicht. Eine Deutsche oder Österreicherin. Und es heißt, auch Kallimachos wäre des Deutschen mächtig.«
    Nun, das mochte ein weiterer Grund für Spirous Begeisterung sein. Diese hohe Konzentration seiner Lieblingssprache an ungewohnter Stelle. Das war schon merkwürdig, wie hier im fernen Osten Sibiriens sich diese eine Fremdsprache durchsetzte. Ähnlich wie im Kino, wenn die Leute in Raumschiffen alle Englisch oder Deutsch sprechen, selbst die, die von anderen Planeten stammen. Die Originalsprachen dieser Außerirdischen fungieren dann nur noch als dialektale Ornamente, vergleichbar den Schweizern im deutschen Fernsehen, die man untertitelt.
    Ivo Berg fragte Spirou, woher er das denn alles wisse.
    Â»Wie ich schon sagte. Es ist ein Gerücht, eine Legende. Manche in Ochotsk glauben daran, andere nicht.«
    Â»Die Legende scheint zu leben. Vielleicht sollten wir auf die Legende schießen, um uns ganz sicher sein zu können.«
    Â»Das ist kein Spaß«, erklärte Ivo streng.
    Â»Verzeih«, sagte Ivo. Und das meinte er auch so.
    Spirou nahm Ivos Hand und drückte sie. Es war ein gutes Drücken. Als sinke ein kleines Polster auf ein größeres, dieses wärmend.
    Â»Na, ich finde, wir sollten Herrn Kallimachos guten Tag sagen«, entschied Ivo.
    Spirou hingegen war unsicher. Mit Kallimachos sprechen zu wollen kam ihm vor, als versuche man nach einem Traum zu greifen. Denn wenn man Kallimachos so betrachtete, konnte man sich kaum vorstellen, daß er sich überhaupt zu so etwas wie simplem Reden herabließ, egal, ob in Griechisch oder Deutsch oder sonst einer Sprache. Denn um etwas zu sagen, würde es immerhin nötig sein, die Zigarette aus dem Mund zu nehmen oder wenigstens dem Ende einer Zigarette eine Pause von der Zigarette folgen zu lassen.
    Doch die Neugierde trieb auch Spirou an. Er nickte. Und Galina ging halt mit. Zu dritt näherte man sich der Gruppe des Großen Griechen.
    Der schwenkte seinen Kopf und sah hinunter auf die Ankömmlinge. Und tat nun in der Folge etwas, was durchaus überraschte. Es mutete nämlich wie ein kleines Wunder an, daß dieser bislang so völlig unbewegliche Mensch einen Arm hob und sich mit Daumen und Zeigefinger die Zigarette eigenständig aus dem Mund zog. Und zwar, als wäre es genau das, was es war: nämlich das Einfachste auf der Welt. Selbst als er nun zu sprechen begann,

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