Die Hallen der Unendlichkeit (German Edition)
Wesen?“
Der Tanzende lachte schallend, zeigte mit dem Finger auf Hans und schrie: „Das weißt du nicht, du Dummkopf? Das sind die Geister und Dämonen derer, die zuvor schon in den Kanälen ertrunken sind. Haaaahahaha!“ Und damit schwankte er in einer Schar von Menschen davon.
Lars sah sich die Leute genauer an. Die Gesichter waren bei näherem Hinsehen faltig oder aufgeschwemmt, verlebt, alt, müde, grau. Das galt auch für die Frauen, die auf den ersten Blick nett anzusehen waren, aber ohne die dicke Schicht von Schminke vermutlich bar jeder Schönheit waren. Sein Blick fiel auf seinen Freund Mike. In dessen Augen stand das blanke Grauen. „Ich will hier weg!“, flüsterte er fassungslos.
Bevor jemand dazu etwas sagen konnte fiel einige Schritte weiter am jenseitigen Ufer ein ganzes Haus ein. Die Trümmer stürzten in den Kanal und versenkten eine Gondel. In den Lärm der einstürzenden Mauern und des Aufplatschens des schwarzen Wassers mischte sich wieder das hysterische und verrückte Gelächter. Jeder der Kostümierten schien sich zu bemühen, diesen Untergang und Zerfall amüsant zu finden.
Mikes Freude und Faszination waren restlos dahin. „Die sind geisteskrank. Die sind alle total meschugge!“
Er schüttelte den Kopf und blickte ratlos um sich. Vorbeitanzende Menschen lachten ihn an – oder aus? – und eine Frau strubbelte ihm das Haar. Unwillig entzog er sich der Berührung, die ihm noch vor kurzer Zeit gefallen hätte.
„Wir machen uns jetzt auf die Suche nach jemandem, der zum Einen nüchtern ist und sich zum Anderen hier gut auskennt“, sagte Hans in beruhigendem Ton.
Seine Besonnenheit tat den beiden Jungen wohl. Dennoch wandte Lars ein: „Wie willst du denn in diesem Hexenkessel so jemanden finden? Die sind doch hier alle außer Rand und Band! Fragen kann man hier doch deshalb auch niemanden.“
„Wir sehen uns hier gründlich um“, antwortete Hans, „und werden schon jemanden finden. Nur Mut! Seht zu, dass ihr nicht ins Wasser fallt. Und geht den Polonaisen und dem Wein aus dem Weg.“
„Ich geh´ hier allem aus dem Weg“, stammelte Mike, während sein Blick unstet hin und her irrte. „Dem Wein, den Menschen, dem Dreckwasser da unten und dem, was da drin ist.“
Das war einfacher gesagt als getan. Lars und Mike merkten sehr schnell, dass ihre Einwände, nicht trinken oder nicht tanzen zu wollen, einfach überhört oder auf jeden Fall ignoriert wurden. Hans hatte alle Hände voll zu tun, die beiden Jungen in seiner Nähe zu halten. Weingläser, die ihnen aufgezwungen wurden, landeten so schnell wie möglich mit Inhalt in den Kanälen. Natürlich versuchten die Abenteurer, das Versenken der Gläser und des Alkohols möglichst unauffällig vorzunehmen, denn sie wollten mit niemandem in Streit geraten.
Sie waren nun schon lange Zeit in dem Labyrinth der Gassen, Brücken und Kanäle unterwegs. Lars hatte längst die Orientierung verloren, Mike war nahe daran, auf die Aufforderungen der Tänzer und Säufer zum Mitmachen aggressiv zu reagieren, da er sich schon regelrecht bedroht fühlte. Hans sah sich wachsam um und beobachtete die Gegend und die Menschen, wobei er aber so tat, als amüsiere er sich königlich. Sein Gesicht zeigte stets ein freundliches, oberflächliches Lächeln.
„Seht euch mal unauffällig die andere Seite des Kanals an“, sagte er, während er den Leuten ringsum freundlich zunickte. „Das ist eindeutig ein Viertel dieser Stadt, in das wir uns keinesfalls wagen sollten.“
Aus den Augenwinkeln prüften die Jungen, was Hans mit seinen Worten meinte. Die andere Seite des an dieser Stelle etwas breiteren Wasserlaufs war ohne jede Beleuchtung. Hier lachte und musizierte keiner, der Lärm dieser Seite wurde nur als Echo zurück geworfen. Die Häuser schienen schmutzig, verfallen und elend zu sein, zumindest im Gegensatz zu den Bauwerken, die sie bisher zu Gesicht bekommen hatten. Auf dem jenseitigen Gehsteig waren auch ein paar Gestalten zu sehen, aber dort tanzte niemand. Es schienen arme und möglicherweise ausgehungerte, gebeugt gehende Menschen zu sein, die in zerlumpte Kleider, manchmal sogar in dreckige Fetzen gekleidet waren. Sie starrten mit teils finsteren, teils sehnsüchtigen Blicken auf die helle Seite des Kanals und schleppten sich müde und kraftlos über die Gehsteige oder lagen auf dem Steinboden.
„Wenn ich das richtig sehe, gibt es in der Nähe keine einzige Brücke, die nach drüben führt“, raunte Mike. „Und soll ich euch mal was
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