Die Hand am Sack: schwule erotische Geschichten (German Edition)
Vorstellungen, darum verlasse ich den Shop kurz nach fünf und mache mich auf den Heimweg, ehe der Berufsverkehr einsetzt. Schade, dass der Tag schon wieder zu Ende geht. Ohne Unterlass sauge ich die Atmosphäre des pulsierenden Millionendorfs in mir auf, dankbar, dass ich wieder ein wenig an seinem Leben teilhaben durfte. Wie gern würde ich länger bleiben, warten, bis es kühler ist, vielleicht ein wenig schlafen, wenn ich hier wohnte, um mich zu vorgerückter Stunde in die Szene zu begeben. Das wäre Leben. Der bayerische Heimatdichter Ludwig Ganghofer hat in vielen seiner Romane die Schönheit des Berchdesgadener Landes besungen und gemeint, dass die Bewohner sich glücklich schätzen müssten, dort leben zu dürfen. Gilt dasselbe nicht auch für München? Wären beruflicher Ärger und Stress nicht leichter zu ertragen, wenn man sich nach Feierabend in die Arme dieser nördlichsten Stadt Italiens fallen lassen könnte?
Mich fröstelt wieder. Ich muss nun meine Heimat verlassen, steige widerwillig in den aufgeheizten Wagen, der den ganzen Tag in der Sonne gestanden hat, und fahre westwärts Richtung Stuttgart. Dort, wo die Autobahn beginnt, stehen in regelmäßigen Abständen Anhalter. Leider ist keiner dabei, der mir gefällt. Wäre auch zu schön, um wahr zu sein. Man kann nicht alles haben. Ich durfte einen Tag lang Münchner Luft schnuppern. Jetzt ab nach Hause. In gut zwei Stunden werde ich daheim sein und die Eindrücke in meinem Tagebuch festhalten. Eine Weile kann ich von den Erinnerungen zehren, bis mich wieder die Sehnsucht packt, und ich zu einem neuen Ausflug starte. Vielleicht werde ich eines Tages meine sieben Sachen packen und ganz herkommen. Nicht ausgeschlossen. Es ist nur nicht leicht, alles aufzugeben, die Freunde, Familie, Kollegen, die gewohnte Umgebung und gewachsene Verbindungen, doch ich ginge ja nicht in die Fremde. Eigentlich würde ich heimkehren und hätte sicher keine Schwierigkeiten, auch hier bald neue Freunde zu finden.
Inzwischen sind viele Jahre vergangen und ich habe den Absprung noch immer nicht geschafft, sitze nach wie vor in der Schwabenmetropole, die freilich auch ihre Reize und Vorzüge hat. Das Eis in meinem Martiniglas ist geschmolzen, während mein Blick vom Balkon über die bewaldeten Höhen des Frauenkopfs hin zum Fernsehturm auf dem Bopser schweift. Bisher hat mich die Stadt zwischen Wald und Reben nicht aus ihren Klauen gelassen. Ich werde ihr wohl treu bleiben, doch ein wenig zu träumen ist sicher erlaubt.
Türkischer Honig (2008)
Es war dieser heiße Sommer vor ein paar Jahren, als man den Klimawandel am eigenen Leib zu spüren bekam. Dreißig, fünfunddreißig Grad und mehr und das über Wochen, so etwas hatte es früher, in unseren Breiten, nicht gegeben. Wundervolles Badewetter einerseits, tropische Hitze, die fast unerträglich wird und einem den Atem raubt, nachts keine Abkühlung, aber auch vertrocknete Ernten, sinkende Pegel von Flüssen und Seen und die Natur aus dem Gleichgewicht. Man weiß nicht, ob man sich darüber freuen soll.
Es ist Spätvormittag an einem Sonntag im August. Ich sitze im Halbschatten des Sonnenschirms auf dem Balkon meiner Wohnung und genieße die wohlige Wärme, als es plötzlich läutet. Ein Blick auf die Uhr. Kurz vor elf. Wer kann das sein? Von meinen Freunden sicher niemand. Es gibt da ein ungeschriebenes Gesetz, keine unangemeldeten Besuche gegenseitig, nur im Notfall, und selbst da gibt es Telefon und Handy, um vorher anzurufen. Vielleicht Zeugen Jehovas , die mich auf den rechten Weg führen wollen, überlege ich. Wäre nicht das erste Mal und sicher auch bitter nötig. Ehe ich die Gegensprechanlage an der Wohnungstür erreiche, läutet es ein zweites Mal.
»Ja bitte?«
»Hallo, ich bin’s, der Ali«, klingt eine vertraute Stimme aus dem Hörer. »Stör’ ich dich?«
»Natürlich nicht«, versichere ich, während die kleinen grauen Zellen hinter meiner Schädeldecke auf Hochtouren arbeiten. Ist die Küche sauber? Habe ich gesaugt, Klo und Bad geputzt? Sind Eiswürfel im Kühlschrank? Was habe ich an? Kann ich so einen Gast empfangen? Es scheint alles in Ordnung.
Nachdem ich den Türöffner betätigt habe, höre ich Geräusche aus dem Fahrstuhlschacht. Der Lift fährt nach unten, dann höre ich, wie im Erdgeschoss die Tür aufgeht und sich wieder schließt, ehe sich der Fahrstuhl mit leisem Surren hocharbeitet. Die Tür öffnet sich und Ali kommt mir entgegen, ein entschuldigendes und zugleich strahlendes Lächeln
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