Die Hand die damals meine hielt - Roman
Vase, die orangefarbene Schüssel, der Juteteppich mit den unzähligen winzigen Schlingen. Auf Zehenspitzen geht sie an diesen
Sachen vorbei, die ihr so f remd sind, obwohl sie ihr gehören, sie geht durch die Küche, geht die Treppe hinauf. Oben denkt sie: Ich bin allein im Haus. Sie bleibt kurz stehen, die eine Hand auf dem Geländer. Sie fühlt sich leicht, schwerelos, die Luft zirkuliert um ihre leeren Arme.
Sie hat versucht, mit Ted zu reden. Sie dachte, es würde vielleicht helfen. Er ist diese und nächste Woche zu Hause. Sie sind zusammen, den ganzen Tag, die ganze Nacht, sie und er und das Kind. Sie sitzt die meiste Zeit auf dem Sofa und stillt. Ted kocht. Ted wäscht. Und wenn Ted das Kind im Wagen spazieren fährt, kann sie schlafen. Sie muss jede Gelegenheit nutzen - auf dem Sofa, im Sessel und, wenn sie Glück hat, sogar im Bett. Doch wenn sie tatsächlich ein bisschen Schlaf ergattert, plagen sie hektische, überdrehte Träume, in denen es meistens darum geht, dass sie das Kind verliert oder das Kind nicht erreichen kann, und manchmal sind es auch abstrakte Bilder von Fontänen. Roten Fontänen. Es sind Träume, aus denen sie mit rasendem Herzen erwacht.
Ted ist also zu Hause, bei ihr, die Dreharbeiten sind vorbei, und sie hat versucht, mit ihm zu reden. Gestern Abend hat sie es versucht, als sie zusammen am Tisch saßen, vor den Alutöpfchen vom Inder. Er hatte das Kind im Arm, die Hand nach hinten gebogen, damit es seinen Daumen festhalten konnte, und das gefiel ihr, dass er dachte, das Kind wolle seinen Daumen halten, dass er ihm den Daumen hinhielt. Und da war sie ihm so nah, dass sie die Gabel weglegte, seinen Arm berührte und ihn f ragte: »Ted, weißt du, wie viel ich verloren habe?«
»Wie viel? Wovon?«, fragte er zurück, ohne von seinem Teller aufzusehen.
»Du weißt schon.« Sie zögerte kurz. »Blut.«
Er riss den Kopf hoch, und sie wartete. Aber er schwieg.
»Bei der Geburt«, half sie ihm auf die Sprünge. »Bei dem Kaiserschnitt. Haben es dir die Ärzte gesagt? Weil …«
»Zwei Liter«, sagte er knapp.
Es entstand eine Pause. Elina stellte sich die zwei Liter vor, wie in Milchflaschen aneinandergereiht: vier Flaschen, klares, grünliches Glas, mit einer rubinrot leuchtenden Flüssigkeit gefüllt. Im Kühlschrank, vor der Haustür, im Kühlregal des Supermarkts. Zwei Liter. Vier Flaschen. Sie stocherte in ihrem Essen, aß einen Bissen, sah verstohlen zu Ted hinüber. Er saß mit gesenktem Kopf da, den Blick entweder auf seinen Teller oder auf das Kind geheftet; es war nicht zu erkennen, weil ihm die Haare ins Gesicht hingen.
»Ich konnte dich nämlich nicht sehen«, hakte sie nach. »Du warst bestimmt bei dem Kind.«
Er gab einen zustimmenden Laut von sich.
Sie nahm ein Alutöpfchen in die Hand, sah, dass es voll gehackter Zwiebeln war, und stellte es wieder hin.
»Hast du viel davon mitbekommen?«, f ragte sie, denn sie wollte es wissen, wollte es von ihm hören, wollte seine Erinnerungen ans Licht holen, sie sich mit ihm zusammen ansehen, um vielleicht das, was sich wie eine Eiswand zwischen sie geschoben hatte, zu schmelzen. Als er nicht antwortete, fragte sie: »Ted? Was hast du?« Er legte seine Gabel weg und sagte: »Ich möchte lieber nicht darüber reden.«
»Aber ich.«
»Ich nicht.«
»Aber es ist wichtig, Ted. Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich möchte es verstehen - ist das denn so schlimm? Ich möchte wissen, warum es passiert ist und …«
Er schob seinen Stuhl zurück und stand vom Tisch auf.
Das kleine Bündel Kind in den Armen, drehte er sich um. Sein gequältes Gesicht war nicht wiederzuerkennen, und Elina durchschoss eine heiße Angst - um ihn, um das Kind. Sie wollte sagen: Okay, lass es gut sein, dann reden wir eben nicht darüber. Aber setz dich doch bitte wieder hin. Und vor allem wollte sie sagen: Ted, gib mir das Kind.
»Sie wissen nicht, warum es passiert ist«, brach es fast schreiend aus ihm heraus. »Ich … Ich … Ich hab sie am nächsten Tag gefragt, und sie haben gesagt, sie wüssten es nicht. Es wäre halt einfach irgendwie schiefgelaufen.«
»Ist ja gut«, sagte sie besänftigend. »Es spielt keine …«
»Und ich habe gesagt, was denken Sie sich eigentlich, wie können Sie es wagen? Sie wäre um ein Haar gestorben, verdammt noch mal, und das ist alles, was Ihnen dazu einfällt? Dass es irgendwie schiefgelaufen ist? Sie sehen zu, wie sie sich drei Tage quält, bevor Sie merken, dass das Kind falsch liegt, und
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