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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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dann lassen Sie zu, wie ihr eine Anfängerin den Bauch aufschlitzt und …«
    Er brach ab, den Tränen nah. Aber er weinte nicht. Er kam wieder an den Tisch, übergab ihr das Kind und verschwand, ohne sie noch einmal anzusehen. Polternd stapfte er die Treppe hinauf, und eine Zeitlang blieb alles still. Elina saß wie versteinert auf ihrem Stuhl. Dann wurden über ihr Schränke aufgerissen und Türen zugeschmissen, und sie wusste, dass er joggen gehen wollte. Er kam die Treppe wieder herunter, knallte die Haustür hinter sich zu und entfernte sich rasch mit trabenden Schritten.
    Sie findet ihre Sonnenbrille auf der Ablage im Badezimmer und will sie herunternehmen, doch ihr Körper hat etwas anderes mit ihr vor. Er dreht sie um und zieht sie zur Tür, trägt sie die Treppe hinunter. Es dauert einen Augenblick, bis sie begreift, was mit ihr passiert. Das Kind schreit. Sein
dünnes Stimmchen schlängelt sich durch das Badezimmerfenster herein. Es überrascht sie, dass ihr Körper das Geräusch gehört und erkannt hat, noch bevor es zu ihr selbst durchgedrungen war.
    Draußen im Garten sitzt Ted auf der Decke. Er hat den Kleinen aufgenommen und hält ihn vorsichtig, mit beiden Händen. Das Kind ist ein zorniger kleiner Automat, dessen Ärmchen und Beinchen wie Hebel durch die Luft fahren, seine Schreie, die in regelmäßigen Abständen kommen, schwellen an zum schrillen Kreischen.
    Elina läuft über das Gras, bückt sich und hebt den Kleinen hoch, alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Er hat sich steif gemacht, und in seine Schreie mischt sich Empörung: Wie konntest du? Wie konntest du mich einfach hierlassen? Sie legt ihn sich an die Schulter, trägt ihn zur Gartenmauer und wieder zurück. Beruhigend spricht sie auf ihn ein: »Pst, pst, ist ja alles gut, pst, pst.«
    »Entschuldige.« Ted ist aufgestanden. »Ich wusste nicht, was ich … Ich wusste nicht, ob er Hunger hat oder nicht oder ob …«
    »Ist schon okay.« Während sie auf und ab geht, beobachtet er sie mit besorgter Miene.
    »Soll ich ihn nehmen?«, fragt er.
    Das Geschrei geht in ein angestrengtes Keuchen über. Elina dreht das Kind so, dass es den Himmel sehen kann.
    »Nein«, sagt sie. »Schon gut.«
    »Hat er Hunger?«
    »Ich glaube nicht. Er hat erst was bekommen, vor einer halben Stunde oder so.«
    Als sie wieder auf der Decke sitzen, sieht Elina den Teller mit den Nudeln. Daran hat sie überhaupt nicht mehr gedacht. Sie setzt die Sonnenbrille auf, nimmt das Kind so,
dass es über ihre Schulter sehen kann, und fängt mit der freien Hand zu essen an. Der Kleine klammert sich an den Kragen ihrer Bluse, drückt ihr schniefend den nassen kleinen Mund an den Hals. Sein Atem braust ihr heiß ins Ohr.
    »Echt toll, wie du das kannst«, sagt Ted.
    »Was?«
    »Das.« Er deutet mit der Gabel auf das Kind.
    »Was meinst du?«
    »Er weint - er brüllt aus Leibeskräften -, und dann kommst du, hebst ihn hoch, und er hört auf. Das ist wie Magie. Wie Zauberei. Das klappt nur bei dir. Bei mir nicht.«
    »Nein?«
    »Nein. Ich krieg’ ihn nicht so leicht ruhig, es ist …«
    »Ach was. Ich bin überzeugt, das kannst du auch.«
    »Nein, nein.« Ted schüttelt den Kopf. »Du hast ein ganz besonderes Händchen dafür. Es ist so, als ob er einen inneren Timer hätte, der genau misst, wie lange er dich nicht mehr gesehen hat, und wenn die Zeit rum ist, geht er ohne Vorwarnung los. Dann kann ihn nichts mehr trösten, nur du.« Er zuckt mit den Schultern. »Das ist mir schon die ganze Woche aufgefallen.«
    Elina denkt darüber nach. Das Kind nuckelt gedankenverloren an ihrer Bluse. »Wahrscheinlich liegt es bloß an den beiden hier.« Sie zeigt auf ihre Brüste.
    Ted lacht und schüttelt noch einmal den Kopf. »Nein, auch wenn ich es ihm nicht verdenken könnte. Aber das ist es nicht, Ehrenwort. Es ist, als ob er regelmäßig eine Dosis Elina braucht. Um sich zu überzeugen, dass du noch da bist. Dass du nicht irgendwohin …« Er bricht mitten im Satz ab. Elina sieht hoch. Mit verzerrtem Gesicht, die Gabel in der Hand, kniet Ted reglos auf der Decke.
    »Hey«, sagt sie. »Was hast du?«

    Klappernd lässt er die Gabel auf seinen Teller fallen. »Nichts … Mir ist bloß ein bisschen …«
    »Ein bisschen wie?«
    »Nur …« Er drückt sich die Hände auf die Augen. »Ich hab manchmal so … so Phasen, wo …«
    »Wo was?«
    »Wo meine Augen irgendwie verrücktspielen.«
    »Deine Augen?«
    »Es ist nichts Schlimmes«, murmelt er. »Ehrlich nicht. Das hab … Das hab

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