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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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der Kopf nach hinten keinen Halt hätte. Elina fragt sich, ob ihr wohl schon der Nacken wehtat.
    »Tja«, sagt sie. »Dass mein Enkel nun schon fast einen Monat alt ist und ich noch immer keine Karten verschicken kann, hätte ich nie im Leben für möglich gehalten. Meine Verwandten warten schon sehnsüchtig darauf.«
    »Du kannst sie doch trotzdem verschicken«, knurrt Teds Vater, der sich hinter einer Zeitung verschanzt hat. Elina hat nicht mit ihm gerechnet, denn Teds Eltern besuchen sie fast immer getrennt: Ihre Terminpläne vertragen sich meistens nicht.
    »Eben«, sagt Ted, während er ein Tablett hereinbringt. »Da muss doch nicht sein Name draufstehen, oder?«
    Seine Mutter schnappt nach Luft, als ob er eine anzügliche Bemerkung gemacht hätte. »Sein Name muss nicht draufstehen? Aber natürlich muss sein Name draufstehen!«
    Ted zuckt mit den Schultern und schenkt den Tee ein.
    »Wie fändet ihr Rupert?«, f ragt seine Mutter aufgekratzt. »Rupert hat mir schon immer gefallen, und in meiner Familie hat der Name eine lange Tradition.«
    »Hört sich an wie ein … Nun sag schon, wie heißt das noch gleich?«, haspelt Teds Vater. Er faltet die Zeitung zusammen und wirft sie auf den Boden.
    »Wie bitte?«

    »Ein …« Teds Vater greift sich an die Stirn. »Du weißt schon, dieses Ding, das Kinder mit ins Bett nehmen. Äh … wie in Wiedersehen in Brideshead … Da gab es auch so was. Äh … Teddybär! Ich hab’s. Ein Teddybär.« Er hebt die Zeitung wieder auf. »Hört sich an wie ein Teddybär«, sagt er, während er die Titelseite ein zweites Mal überfliegt.
    »Was hört sich an wie ein Teddybär?«, fragt Teds Mutter.
    »Der Name Rupert.«
    Elina hört das Wort: Wundklammer. Sie hört: Gebärmutterriss. Sie hört: Sternguckerlage.
    Ted gibt ein unverständliches Geräusch von sich, dann sagt er: »Bitte sehr, der Tee. Und, wie geht es euch so? Wie war die Woche? Viel zu tun?«
    »Oder Ralph. Wie wäre es mit Ralph? Er sieht aus wie ein Ralph. Das war der zweite Vorname meines Großvaters. Klingt sehr hübsch. Und es würde gut zu unserem Nachnamen passen.«
    »Hm.« Ted wirft Elina einen Blick zu. Ungerührt lässt sie den Briefbeschwerer von einer Hand in die andere wandern. Die gläserne Oberfläche fühlt sich schon ganz warm an. Sie sieht, dass Ted mit sich ringt, ob er das Thema anschneiden soll, aber dann entschließt er sich, den Sprung zu wagen. Während er seinen Eltern den Tee reicht, sagt er: »Wir haben beschlossen, ihm Elinas Nachnamen zu geben. Er soll Vilkuna heißen.«
    Als Teds Mutter ins Krankenhaus kam, war das Kind drei Stunden alt. Elina erinnert sich an alles. Mit ihrem freien Arm schmiegte sie den schlafenden Kleinen an ihre Brust. Der andere Arm war bandagiert, zu einem geheimnisvollen Kokon verschnürt. Schläuche führten hinein und heraus. Über ihrem Kopf hingen verschiedene Beutel. Unter der
Bettdecke waren weitere Schläuche, die in sie hineingingen und wieder herauskamen. Noch mochte sie nicht daran denken, wohin.
    Sie schien in zahllosen Kissen zu thronen. Aus irgendeinem Grund - wegen des Morphins vielleicht - rollten ihre Augäpfel alle paar Minuten in den Höhlen nach hinten. Das ganze Zimmer schlingerte und stampfte, und Elina hatte Mühe, im Hier und Jetzt zu bleiben und sich nicht dem Sog des Medikaments zu ergeben. Es war wie eine starke Meeresströmung, die sie nach unten zog.
    Ted war auf der anderen Seite des Zimmers, sehr weit weg, wie es ihr schien. Mit einem Stift in der Hand saß er auf einem Stuhl und füllte Formulare aus. Während sie ihn ansah, hob er den Kopf, und Elina hätte vor Schreck fast laut aufgestöhnt: Sein Gesicht war eingefallen, grau und angespannt, wie eine mit Haut überzogene Maske. Im ersten Augenblick kam er ihr wie ein Fremder vor, wie ein Unbekannter. Was ist passiert, wollte sie fragen. Warum siehst du so furchtbar aus?
    Die Tür ging auf, Elina drehte den Kopf, und plötzlich stand Teds Mutter im Zimmer.
    »Ohhhh!«, jubelte sie. »Ohhhh! Mein kleiner Liebling!« Sie kam so zielstrebig ins Zimmer gerauscht, dass Elina eine Schrecksekunde lang glaubte, sie wäre gemeint. Aber Teds Mutter würdigte sie keines Blickes. Sie nahm das Kind hoch und wiegte es in ihren Armen. »Na, du«, sagte sie, viel zu laut, wie Elina fand. »Na du, du kleiner Prachtkerl.«
    Sie drehte dem Bett den Rücken zu und ging zum Fenster. An der Stelle, wo das Kind gelegen hatte, fühlte sich Elinas Brust feucht an. Sie konnte seine Umrisse auf ihrer Haut

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