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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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ich … schon mein Leben lang.«
    »Dein Leben lang?«, wiederholt sie. Was kann er damit meinen, sein Leben lang? Sie legt das Kind auf die Decke und kauert sich neben Ted. Sie lässt ihre Hand auf seinem Rücken auf und ab fahren. »Wie lange dauert so was?«, f ragt sie nach einer Weile.
    Ted ist noch immer in sich zusammengesunken, die Hand schirmend über die Augen gehoben. »Nicht lange«, sagt er. »Es ist gleich wieder vorbei. Entschuldige.«
    »Sei nicht albern.«
    »Komisch, das ist mir seit Jahren nicht mehr …«
    »Pst«, sagt sie, »nicht reden. Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
    Er nickt.
    Als sie zurückkommt, hat er sich wieder hingesetzt. Den Kopf auf die Seite gelegt, sieht er versonnen auf das Kind hinunter. Sie gibt ihm das Glas.
    »Wie geht es dir? Ist mit deinen Augen wieder alles okay?«
    Er nickt.
    »Was war das denn?« Sie legt ihm die Hand auf die Stirn. »Ted, du bist eiskalt und … wie heißt das Wort für … ganz nass?«

    »Schweißnass«, murmelt er.
    »Du hast eine schweißnasse, kalte Stirn«, sagt sie. »Ich finde, du solltest zum Arzt gehen.«
    Er trinkt einen Schluck und gibt ein ablehnendes Knurren von sich.
    »Du musst.«
    »Nein. Ich hab nichts. Mir geht es gut.«
    »Dir geht es nicht gut.«
    »Doch.« Er schüttelt sich die Haare aus den Augen und sieht sie an. »Mir geht es gut«, sagt er noch einmal. »Ehrlich.« Er legt den Arm um sie und gibt ihr einen Kuss auf den Hals. »Jetzt guck nicht so ängstlich. Es ist wirklich nichts.«
    »Für mich hört sich das nicht nach nichts an.«
    »Ist es aber. Als Kind hatte ich das dauernd. Und dann seit Ewigkeiten nicht mehr, bis vor ein paar Tagen, und …«
    »Du hattest das vor ein paar Tagen schon mal? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    »Elina.« Er nimmt ihre Hände. »Mir fehlt nichts. Ehrenwort.«
    »Du musst zum Arzt.«
    »Ich hab’ deswegen schon sämtliche Ärzte abgeklappert. Als Kind. Ich hatte Augenuntersuchungen, Gehirnuntersuchungen und Was-es-sonst-noch-gibt-Untersuchungen. Frag meine Mutter.«
    »Aber Ted …«
    In diesem Augenblick fängt das Kind an zu schreien.
    »Hörst du?«, sagt Ted. »Der innere Timer geht los.«
    Und später an diesem Tag oder vielleicht auch erst am nächsten - es ist schwer zu sagen, weil sie nicht schlafen kann - sitzt Elina auf dem Sofa, den Rücken mit Kissen ausgestopft, die Füße nebeneinander auf dem Teppich. In
der einen Hand wiegt sie einen schweren gläsernen Briefbeschwerer.
    Es ist eine fast vollkommen runde Kugel, unten leicht abgeflacht, damit sie nicht auf dem Schreibtisch herumrollt. Sie enthält hunderte winziger Bläschen. Elina hebt sie hoch und späht mit einem Auge hinein, in eine verschwommene, ferne, grünliche Welt, deren Atmosphäre tränenförmige Löcher hat.
    Sie mag diesen Briefbeschwerer, der so kalt und klar in ihrer Hand liegt. Es gefällt ihr, dass die Luft der Werkstatt, in der er hergestellt wurde, auf ewig darin gefangen ist. Vielleicht ist es sogar dieselbe Luft, die der Glasbläser ausgeatmet hat. Der Briefbeschwerer schmiegt sich perfekt in ihre Hand, so groß wie der Kopf eines ungeborenen Kindes im Alter von - was? - sechs Monaten? Fünf? Sie würde ihn gern aus nächster Nähe fotografieren. Bald schon, wenn möglich. Wo ist überhaupt ihre Kamera? Im Atelier? Sie sollte sie suchen, sicher verwahren. Wie gern würde sie die geheime, stille Welt in dem Briefbeschwerer einfangen. Wie gern würde sie selbst hineinschlüpfen.
    Sie faltet die Hände unter der Kugel und hebt langsam den Blick.
    »Ich habe ja versucht, es ihr zu erklären«, sagt Teds Mutter, die auf dem anderen Sofa sitzt und sich den Hals nach Ted verrenkt, der in der Küche ist. »Sie hat deshalb noch keine Karte von mir bekommen, weil ihr euch einfach nicht für einen Namen entscheiden könnt. Aber davon wollte sie natürlich nichts wissen. Sie wurde richtig ungemütlich.« Teds Mutter zupft an der Manschette ihrer Bluse und streicht sie wieder glatt, um ihre Gereiztheit zu überspielen. »Habt ihr euch denn noch mal Gedanken darüber gemacht, wie ihr ihn nennen wollt?«

    Teds Antwort ist nicht zu verstehen - er steckt mit dem Kopf im Kühlschrank.
    Elina blinzelt. Den Bruchteil einer Sekunde lang hat sie das Gefühl, ihr würde der Brustkorb von innen auseinander gedrückt. Sie blinzelt noch einmal, damit es weggeht.
    Teds Mutter dreht sich wieder um und rutscht auf dem Sofa herum. Als sie es gekauft haben, hat sie gesagt, man könne nicht bequem darauf sitzen, weil

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