Die Hand die damals meine hielt - Roman
fühlen, die Wärme, die sich zwischen ihnen gebildet hatte. Sie sah, wie sich ihr Arm, der verpuppte Arm, vom
Bett hob, als ob sie etwas sagen wollte. Aber was? Und dann stand Ted auf, und ihre Augäpfel rollten wieder nach hinten, und bis sie sie wieder unter Kontrolle hatte, sah sie nichts als die Zimmerdecke und die Beutel mit der Flüssigkeit, die über ihr hingen.
»… einfach grauenhaft.« Das war Ted, mit seinem neuen, grauen Gesicht, und Elina musste sich anstrengen, um ihn zu verstehen »… keine Herztöne mehr … ab in den OP … aber dann war alles voll … überall, unvorstellbar … Elina wäre beinahe …« Ted verschluckte das letzte Wort.
Beide schwiegen. Nur das leise, kaum fassbare Atmen des Kindes war zu hören: ein hastig flatterndes Ein und Aus. Die Stille im Raum war hauchdünn, so haarfein wie Raureif.
»Mmm, ach Gott«, sagte Teds Mutter. »Holst du mir meine Kamera? Sie ist da drüben in meiner Tasche.« Sie war ganz in den Anblick des Kindes versunken. Ihre Miene war schwer zu deuten. Verzückt, grimmig, kompliziert. Voll von Begehrlichkeit oder einem hungrigen Habenwollen, und Elina durchzuckte die Angst wie ein Stromstoß. Als hätte das Kind es gespürt, stieß es jäh einen schrillen Schrei aus.
Elinas Arm hob sich erneut. Diesmal bemerkte Ted es. Er kam und beugte sich über sie, nahm ihre Hand. »Was ist?«, f ragte er. »Alles in Ordnung?«
»Das Kind.« Elina staunte, wie heiser ihre Stimme war. »Ich will das Kind zurückhaben.«
Und jetzt ist sie wieder da, Teds Mutter, sie sitzt auf dem Sofa, das sie schlechtgemacht hat, und wartet, dass der Kleine aufwacht, damit sie ihn »mal nehmen« darf.
»Vilkuna?« Sie spricht den Namen aus, als ob er ein Schimpfwort wäre. »Er soll ein Vilkuna werden? Du willst deinem Sohn nicht seinen rechtmäßigen Namen geben?«
Ted dreht seine Tasse hin und her und hält den Blick auf den Teppich gehefet. »Es gibt keinen Grund, warum ein Kind den Namen des Vaters tragen sollte statt den der …«
»Keinen Grund? Keinen Grund? Dafür gibt es tausend Gründe. Die Leute werden denken, dass er ein …, dass er unehelich ist, dass er …«
»Aber das ist er ja auch«, sagt Elina.
Teds Mutter reißt ruckartig den Kopf zu ihr herum, als ob sie ganz vergessen hätte, dass Elina auch noch da ist.
»Zu meiner Zeit«, beginnt sie mit bebender Stimme, »hat man so etwas nicht auch noch an die große Glocke gehängt. Zu meiner Zeit …«
»Die Welt ändert sich.« Ted steht auf und nimmt seine Tasse vom Tisch. »Damit müssen wir uns abfinden. Noch Tee?«
Nachdem seine Eltern in ihren flotten kleinen Silberflitzer gestiegen und nach Islington zurückgefahren sind, geht Ted wieder ins Wohnzimmer. Auf jeder freien Fläche hat sich das Strandgut des Tages angesammelt: Windeln auf dem Fußboden, Tassen auf den Tischen, die Milchpumpe und die Glückwunschkarten, die seine Mutter mitgebracht hat, auf dem Fernseher, ein halbvoller Teller mit Plätzchen im Bücherregal, ein aufgeklappter Ratgeber über Säuglingspflege mit der Schrift nach unten auf einem Stuhl.
Seufzend lässt Ted sich aufs Sofa fallen. Er hätte nie gedacht, dass ein Neugeborenes so viele Gastgeberpflichten mit sich bringt, so viele Besucher, so viele Anrufe und EMails, so viele Tassen Tee, die aufgebrüht, ausgeschenkt, aufgeräumt, abgespült werden wollen. Oder dass einem plötzlich, nur weil man Nachwuchs bekommen hat, mehrmals in
der Woche Besuch ins Haus schneit, der stundenlang hocken bleibt.
Ted bringt das Teetablett weg. Während Elina das Kind an der einen Stelle säubert und gleichzeitig an einer anderen Stelle eincremt, sucht er sich einen Weg durch Spielzeuge, Rasseln, Windeln, Feucht- und Baumwolltücher, sammelt verstreute Tassen und Kuchenteller ein und trägt sie vom Wohnzimmer in die Küche. Elina gibt ihm das Kind und fängt an, auf allen vieren an einem Flecken im Teppich - Milch? Kotze? Kacke? - herumzuscheuern.
Seinen Sohn an der Schulter, zieht Ted seine Runden durch den Raum, immer um den Tisch rum, immer um den Tisch rum. Der Kleine verdreht die Augen, nuckelt selbstvergessen an seinem Daumen - sicher schläft er gleich ein. Ted geht weiter, leicht hin und her schaukelnd, wie ein Schiff auf ruhiger See. Dem Kind werden die Augenlider schwer, es nuckelt langsamer, aber kaum ist es eingeschlafen, fällt ihm der Daumen aus dem Mund, und es wacht auf. Nuckel, nuckel, Augen zu, Daumen raus, Augen auf, und sie drehen die nächste Runde, vorbei an Elina, die
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