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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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eigentlich Ted abgeblieben? Jetzt kann er seinen Kaffee haben.«

    Ted sitzt mit Simmy und Elina im Café, aber nicht in dem Café, in das er gehen wollte, im obersten Stock des Museums mit Blick auf den Trafalgar Square, sondern unten, im Tiefparterre. Während er sich bei einer Tasse Kaffee mit seinem Freund und seiner Freundin unterhält, kommt ganz plötzlich ohne jede Vorwarnung etwas über ihn. Es ist eine Erinnerung an sich selbst als Kind auf dem Schoß einer Frau. Sie trägt ein rotes Kleid aus einem glatten Stoff. Er hat sich bei ihr untergehakt, damit er nicht abrutscht, worüber die Frau laut lachen muss. Der Schall setzt sich durch ihren Oberkörper fort, durch den Stoff ihres Kleides, so dass er ihr Lachen spüren kann.
    Seit Jonahs Geburt passiert ihm das immer öfter. Schlaglichter auf einen anderen Ort, eine andere Zeit, die wie atmosphärische Störungen oder Interferenzen auftreten, eingeblendet
wie die Stimmen eines weit entfernten Auslandssenders. Er kann sie kaum hören, doch sie sind da. Eine Wahrnehmung, ein Eindruck, ein verschwommenes Bild, wie ein Plakat, an dem man mit einem Zug vorüberrast.
    Wahrscheinlich durchlebt man die eigene Kindheit neu, wenn man selbst ein Kind bekommt, lautete Teds Erklärung dafür. Dinge, an die man vorher nie gedacht hat, tauchen aus der Versenkung auf. Wie zum Beispiel das Gefühl, auf dem Schoß dieser Frau zu sitzen. Er hat keine Ahnung, wer sie war - eine Freundin seiner Mutter vielleicht, eine Verwandte, die zu Besuch war, eine glamouröse Kollegin seines Vaters -, aber er erinnert sich plötzlich ganz deutlich daran, wie es war, als er von ihrem Schoß rutschte.
    Jemand rempelt von hinten an seinen Stuhl, so dass er nach vorne gegen die Tischkante prallt. Als er sich umdreht, sieht er, dass es ein Mann mit Rucksack war, der von dem Zwischenfall gar nichts mitbekommen hat. Ted rückt ein Stück zur Seite, weiter weg von dem Durchgang, näher hin zu Elina. Er nippt an seinem Cappuccino. Das Bild der Frau im roten Kleid ist verschwunden. Übertragung beendet. Simmy schaufelt Walnusskuchen in sich hinein und redet dabei in einer Tour. Elina, die Jonah auf dem Schoß hat, beugt sich zu ihm und hört ihm zu. Mit hin und her wackelndem Köpfchen starrt Jonah wie gebannt auf den Tisch; mit beiden Händen umklammert er Elinas Daumen, als ob er sie nie wieder loslassen will. Und auf einmal weiß Ted ganz genau, was sein Sohn fühlt, wie sehr er Elina braucht. Denn in ihm rührt sich genau das gleiche Gefühl, und er streckt die Hand aus und legt sie ihr ganz leicht aufs Bein. Aber am liebsten würde er sie an sich ziehen, ihre Schulter unter seinen Arm, ihren Kopf an seine Brust, damit sie ihm so nah wie nur irgend möglich ist,
und dann möchte er zu ihr sagen, verlass mich nicht, verlass mich nie.
    Elina steht auf. Während Simmy noch immer auf sie einredet, reicht sie Jonah an Ted weiter. Sie muss ihm ihren Daumen regelrecht entreißen.
    »Wo gehst du hin?«, fragt Ted.
    »Zur Toilette.« Sie wendet sich wieder Simmy zu. »Ja, ich verstehe, was du meinst.« Damit schlüpft sie hinter Teds Stuhl vorbei.
    Er greift nach ihrer Hand. Ihm wird schwindelig, und ihn überfällt wieder einmal die Ahnung von einem weiten, unendlichen Meer. Einen Augenblick lang sieht er eine Frau, die sich zum ihm herunterbeugt, so dass ihm ihre langen Haare ins Gesicht fallen. Sie drückt ihm einen Plastikbecher in die Hand. Er sieht sich selbst auf einem Treppenabsatz sitzen, die wollenen Fransen eines grünen Teppichs zwischen den Fingern, der Stimme seines Vaters lauschend, die beschwörend und zerknirscht von unten heraufdringt. Erst als er den Kopf schüttelt, kann er sich von den Bildern befreien. Jonah scheint etwas zu spüren, denn er verzieht das Gesicht und fängt an zu weinen. Ted weiß nicht, was er sagen soll. »Und wo ist die Toilette?«, fragt er schließlich.
    Sie sieht hinunter auf seine Hand, die sie festhält. »Da hinten«, murmelt sie und mustert ihn verwundert. »Ich bin ja gleich wieder da.« Und dann dreht sie sich weg, macht sich behutsam von ihm frei und geht. Und während sie sich von ihm entfernt, versucht er, nicht an den Kreißsaal zu denken, nicht an das Bild, wie sie dort liegt in dem reinigenden Licht, in dem endlosen, weißen Meer.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragt Simmy von der anderen Seite des Tisches.
    »Ja.« Ted kann ihm nicht in die Augen sehen.

    »Du bist ein bisschen grün um die Nase.«
    »Ich hab’nichts.« Ted steht auf und nimmt

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