Die Hand die damals meine hielt - Roman
zog mit einem Künstler nach Paris und ward nie mehr gesehen; Laurence und Lexie fehlte sie sehr. Die Angle Gallery lief so gut, dass Laurence und David eine zweite eröffnen konnten, die New Angle Gallery. Elsewhere kam als London Lights wieder auf den Markt, mit einem neuen Herausgeber, neuen Mitarbeitern und einem neuen Redaktionsbüro. Man konnte die Zeitschrift an jedem Kiosk kaufen. Lexie flog nach New York, Barcelona, Berlin, Florenz. Sie interviewte Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, Politiker, Musiker. Sie schrieb Artikel über Radiosender, Abtreibungsgesetze, Atomwaffengegner, Teenager und ihre Motorräder, Häftlingsrechte, Witwenrenten, die Scheidungsreform, die längst fällige Erhöhung des Frauenanteils unter den Parlamentsabgeordneten. Während dieser Zeit erhielt sie über die Poststelle der Zeitung hin und
wieder einen anonymen Brief in einer ungelenken, jugendlichen Handschrift. Weiß Ihr Arbeitgeber, dass Sie Bilder stehlen? , stand in dem einen. Erst nehmen Sie mir meinen Vater weg und dann mein Erbe, in einem anderen. Lexie zerriss sie in kleine Schnipsel und versenkte sie auf dem Grund des Papierkorbs. Sie nahm ab, sie rauchte mehr und bekam von den vielen Zigaretten eine tiefere, rauere Stimme. Wer von ihr interviewt wurde, empfand sie als einfühlsam und prägnant, manchmal allerdings auch als brutal direkt. Den meisten ihrer männlichen Kollegen ging sie auf die Nerven. Das wusste sie, aber es war ihr egal. Sie spulte das Leben und ihre Arbeit herunter, ohne sich eine Pause zu gönnen; abends und am Wochenende fand man sie meistens an ihrem Schreibtisch. Sie trug die Mode der Zeit - Miniröcke, hohe Stiefel, grelle Farben -, aber mit einer Lässigkeit, die an Desinteresse grenzte. Über Innes sprach sie nie, mit niemandem. Wenn Laurence ihn erwähnte, sagte sie nichts darauf. Sie hängte seine Bilder in ihrer kleinen Wohnung auf. Sie aß im Stehen und sah sie sich an.
Und als sie irgendwann glaubte, ihr Leben würde unabänderlich im selben Trott weitergehen, geschah - und wie sollte es auch anders sein? - natürlich doch etwas, das sie aus ihrer Abkapselung wieder herausholte.
Lexie rauscht durch die Gänge der BBC, biegt um eine Ecke und betritt, ohne anzuklopfen, Felix’ Büro. Felix hat die Füße auf dem Schreibtisch und telefoniert, den Hörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt. Als sie hereinkommt, schießen seine Augenbrauen in die Höhe. Sie haben sich seit Wochen nicht mehr gesehen. Zurzeit haben sie wieder einmal eine Beziehungspause.
Felix legt auf und springt vom Stuhl, er fasst sie bei den Schultern und küsst sie auf beide Wangen.
»Liebling«, säuselt er. »Was für eine unerwartete Freude.«
»Geht es nicht ein bisschen weniger schwülstig?« Lexie nimmt Platz und stellt ihre Tasche neben sich auf den Boden. Sie kann es selbst nicht ganz verstehen, aber sie ist tatsächlich etwas nervös.
Felix lehnt sich lässig an seinen Schreibtisch, verschränkt die Arme und betrachtet die wunderschöne Erscheinung im smaragdgrünen Kleid, die ihm so unverhofft ins Büro geschneit ist. Sie hat eine neue Frisur, im Nacken kürzer als früher. Trotz ihrer Ruppigkeit freut er sich sehr darüber, dass sie ihn, schön wie immer, einfach aus heiterem Himmel überfallen hat. Bis jetzt musste er immer ihr nachlaufen. Er wird sie zum Mittagessen einladen. Zu Claridge’s vielleicht. Er lächelt. Lexie ist wieder da. Ihr letzter Streit - worum ging es dabei noch mal? - ist kaum mehr als eine blasse Erinnerung. Was als ein stinknormaler Tag angefangen hat, verspricht plötzlich, ein auf regendes Ende zu nehmen.
Er will gerade vorschlagen, dass sie zusammen einen Happen essen gehen, da sagt Lexie: »Ich muss mit dir reden.«
Felix’ Miene verdüstert sich. »Liebling, wenn es um die kleine Amerikanerin geht, musst du mir glauben, die Sache ist vorbei und …«
»Es geht nicht um die Amerikanerin.«
»Aha.« Felix runzelt die Stirn und widersteht dem Impuls, auf seine Uhr zu sehen. »Wollen wir es dann vielleicht beim Essen besprechen? Ich dachte an Claridge’s.«
»Gute Idee.«
Sie steigen in ein Taxi. Als er ihr die Hand aufs Bein legt, stößt sie sie nicht weg, was Felix als gutes Zeichen dafür
nimmt, dass ihm weitere Verlegenheiten wegen seiner Affäre erspart bleiben und sie noch heute zusammen im Bett landen könnten. Die Fahrt bis zum Claridge’s dauert nur wenige Minuten. Sie gehen durch die Drehtür hinein, Felix wird vom Oberkellner erkannt, sie bekommen einen
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