Die Hand
eine Botschaft, die mir mehr nach dem seligen Hiob aussieht als nach deinem Freund Ronnie?“
„Nun spann uns mal nicht so auf die Folter, Dicki“, sagte Perry Clifton. „Wenn es kein Geheimnis ist, dann lies uns vor, was Ronnie schreibt und was dir so ans Gemüt geht.“
„Ihr werdet es ja sowieso erfahren“, maulte Dicki, dessen Laune unter den Gefrierpunkt gesunken war. Er las vor:
„Hallo, Dicki, mein Lieber“,
Dicki glaubte förmlich zu sehen, wie Ronnie beim Schreiben die Brust vor Stolz anschwoll... Vor Wut hockte er inzwischen auf seinen Knien.
„... Ich muß Dir hier von einer großen Sache berichten, die keinen Aufschub duldet. Leider hast Du versäumt, was ich heute vormittag erlebt habe. Aber Du hast es ja vorgezogen, in Wilkesham das ruhige Leben zu genießen. London ist der Mittelpunkt alles Geschehens. Hier laufen die Fäden zusammen. Hier ist persönlicher Einsatz hoch im Kurs. Stehe ich doch gestern in der Nähe des Piccadilly Circus und warte auf meine Mutter, die sich gerade ein Paar Schuhe kaufte. Du kannst Dir vorstellen, daß ich nicht gerade begeistert davon war, dabei als Begleiter zu dienen. Aber Du warst nicht da, und Mutter hat mich schließlich mit dem Versprechen auf Vanilleeis mit heißen Himbeeren gelockt und herumgekriegt. Ich stehe da also an der Ecke und warte auf Mutter und das Eis, als es plötzlich einen Riesenaufruhr gibt, ich höre Leute durcheinanderschreien: ,Haltet den Dieb, haltet ihn!’ Ich war natürlich sofort hellwach. Das war eine Sache!
Da sehe ich auch schon einen kleinen Mann direkt aus der Menge auf mich zuwetzen, während ihm die anderen Leute nichtsahnend, was Handlung ist, hinterherschauten. Na ja, es hat nun mal nicht jeder eine so blitzschnelle Auffassungsgabe wie ich, was Du ja wohl neidlos anerkennen mußt. Von der gegenüberliegenden Straßenseite sehe ich auch schon einen Wachtmeister die Verfolgung aufnehmen. Ich habe nicht lange überlegt und instinktiv auf meinen Einsatz gewartet. Und das war klar, der mußte kommen. Der um sein Leben Rennende, von dem ich natürlich noch nicht wußte, was er angestellt hatte, wäre fast in einen Kinderwagen gefallen, den eine Frau quer über den Bürgersteig schob. Er hatte gerade noch Glück. Da muß mir mein Unterbewußtsein eingegeben haben: ,Brems ihn!’
Ich will mich ja hier nicht selbst loben, so was liegt mir fern, wie Du sicherlich weißt. Jedenfalls streckte ich mein linkes Bein vor, als der Kerl an mir vorbeisausen wollte. Das hättest Du sehen sollen. Der ruderte mit Armen und Beinen wie ein auf dem Rücken liegender Maikäfer. Und jetzt kommt das Tollste. Ein paar Meter weiter sauste er mit dem Kopf voraus mitten rein in die Tomaten vom Gemüsestand des ollen O’Mally. Du weißt schon, Sean O’Mally, der früher an der Hampton Road verkaufte und dann zum Piccadilly Circus wechselte, weil er sich dort mehr Geschäft versprach. Sicher wirst Du Dich wie ich noch gut daran erinnern, wie wütend dieser Ire werden konnte. Wir haben ihn ja oft genug geärgert, als er noch an der Hampton Road stand. Bei dem Gedanken schmerzen mich heute noch meine Ohren. Du weißt ja, daß er mich leider mal erwischte, als ich ihm einen Kracher unter den Gemüsekarren legte. Es war ein recht unerfreuliches Erlebnis.
Um so erfreulicher und komischer war der Anblick, wie der Ire den Mann packte und schüttelte, der ihm da wie ein Geschoß in sein Gemüse gefallen war. Die Tomaten spritzten auseinander, als hätte eine Bombe eingeschlagen. O’Mally packte den Mann am Kragen seines weißen Anzuges und beutelte ihn wie einen nassen Sack hin und her. Dann versetzte er ihm zwei schallende Ohrfeigen. Die waren nicht von kleinem Kaliber, das kann ich Dir sagen. Dem flogen gleich die zermatschten Tomaten aus dem Gesicht. Dann kam der Wachtmeister und hat ihn mitgenommen. Ich glaube, der Ärmste war ganz froh darüber, daß er so von O’Mally wegkam.
Der Wachtmeister erzählte mir später, daß ich einen langgesuchten Taschendieb erwischt habe. Was sagst Du jetzt? Vielleicht springt sogar noch eine kleine Belohnung für mich raus. Verdient hätte ich sie mir.
Klar, daß ich Dir das sofort schreiben mußte. Du bist sicher über jede Abwechslung froh, dort auf dem Land. Ist sicher ganz schön eintönig. Na ja, jeder, wie er es will. Für mich wäre das nichts. Ich brauche nun mal jede Menge Action. Alles Weitere erzähle ich Dir zu Hause. Viele Grüße, Dein Freund Ronnie
Dicki ließ resigniert den Brief sinken. Es
Weitere Kostenlose Bücher