Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Der Mord kann zwar nicht geplant worden sein wie die anderen, aber der Polizistenhass, der zur Einstellung des Täters gehört, entspricht zumindest teilweise dem bisherigen Muster der
Tötungen und ist vielleicht der Grund für den rituellen Aspekt, den der Captain erwähnt hat.«
»Becca hat gesagt, dass sich das Tempo erhöht«, warf Kline ein. »Wir haben bereits vier Opfer. Bedeutet das, es werden noch mehr?«
»Fünf sogar.«
Alle Blicke wandten sich zu Hardwick.
Der Captain hielt die Faust hoch und streckte bei jedem Namen einen Finger aus. »Mellery. Schmitt. Kartch. Officer Sissek. Das sind vier.«
»Und Reverend Michael McGrath ist der Fünfte«, stellte Hardwick fest.
»Wer?« In disharmonischem Vielklang brach die Frage aus Kline (erregt), Rodriguez (gereizt) und Blatt (verdutzt) hervor.
»Vor fünf Jahren wurde ein Priester in der Diözese Boston wegen Missbrauchsvorwürfen seitens mehrerer Ministranten seines Amts enthoben. Er hat eine Art Vereinbarung mit dem Bischof getroffen, sein unangemessenes Verhalten auf seine Alkoholsucht geschoben, eine lange Entziehungskur gemacht und ist von der Bildfläche verschwunden. Ende der Geschichte.«
»Was ist nur mit dieser Diözese in Boston los?«, höhnte Blatt. »Da wimmelt es ja nur so von Kinderfickern.«
Hardwick ignorierte ihn. »Ende der Geschichte bis vor einem Jahr. Da wurde McGrath tot in seiner Wohnung aufgefunden. Mehrere Stichwunden am Hals. Ein Rachebrief auf die Leiche geklebt. Ein achtzeiliges Gedicht in roter Tinte.«
Rodriguez lief rot an. »Wie lang wissen Sie das schon?«
Hardwick schaute auf die Uhr. »Seit einer halben Stunde.«
»Was?«
»Gestern hat mich Sonderermittler Gurney um eine Anfrage bei allen Dienststellen in den nordöstlichen Staaten nach ähnlichen MOs wie im Fall Mellery gebeten. Heute Morgen kam ein Treffer rein: Pater McGrath.«
»Wurde jemand wegen dieses Mordes verhaftet oder vor Gericht gestellt?«, fragte Kline.
»Nein. Der Kollege aus Boston, mit dem ich gesprochen habe, wollte nicht mit der Sprache rausrücken, aber ich hatte den Eindruck, dass sie nicht unbedingt mit Hochdruck an dem Fall gearbeitet haben.«
»Was soll das heißen?« Der Ton des Captain wurde bockig.
Hardwick zuckte die Achseln. »Ein früherer Päderast wird erstochen, und der Mörder hinterlässt eine Nachricht, in der vage auf vergangene Verfehlungen hingewiesen wird. Sieht aus, als wollte ihm jemand was heimzahlen. Da haben sich die Kollegen vielleicht gedacht, was soll’s, schließlich haben sie auch noch andere Sachen zu erledigen und müssen viele Täter mit weniger edlen Motiven schnappen. Also haben sie sich womöglich nicht so drum gekümmert.«
Rodriguez zog ein Gesicht, als hätte er eine Magenverstimmung. »Aber gesagt hat er das nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Schön«, fasste Kline zusammen, »egal, was die Polizei in Boston getan oder nicht getan hat, jedenfalls ist Pater Michael McGrath das fünfte Opfer.«
»Sí, número cinco«, bestätigte Hardwick. »Aber eigentlich número uno - schließlich hat sich der Priester schon ein Jahr vor den anderen vier aufschlitzen lassen.«
»Dann war Mellery also in Wirklichkeit das zweite Opfer«, sinnierte Kline.
»Da habe ich große Zweifel.« Als ihr die allgemeine Aufmerksamkeit sicher war, fuhr die Psychologin fort.
»Nichts weist darauf hin, dass der Priester das erste Opfer war - wer weiß, möglicherweise war er schon das zehnte. Doch selbst wenn er das erste war, haben wir ein anderes Problem. Ein Mord vor einem Jahr, dann vier in weniger als zwei Wochen. So ein Muster ist äußerst ungewöhnlich. Ich würde vermuten, dass es dazwischen weitere Opfer gab.«
»Außer«, warf Gurney leise ein, »neben der Psychopathologie des Täters ist noch ein weiterer Faktor bestimmend für den Zeitpunkt und die Wahl der Opfer.«
»An was hatten Sie da gedacht?«
»Ich glaube, es handelte sich um etwas, das die Opfer über den Alkoholismus hinaus gemeinsam haben, etwas, was wir noch nicht entdeckt haben.«
Holdenfield wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. Ihrem Gesicht war deutlich anzumerken, dass sie Gurneys These nicht zustimmte, aber sie auch nicht aus dem Handgelenk widerlegen konnte.
»Möglicherweise stoßen wir also auf Verbindungen zu früheren Leichen.« Kline schien sich noch nicht schlüssig, was er davon halten sollte.
»Ganz zu schweigen von neuen«, ergänzte Holdenfield.
»Was soll das heißen?« Rodriguez hatte offenbar seine Lieblingsfrage
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