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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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von moderner Musik hatte, überlegte es sich aber anders.
    »Was hat dich wach gehalten?«
    »Weiß ich selbst nicht so genau.« Er spürte ihre Skepsis.
    Sie ließ seinen Arm los. Einige Meter vor ihnen platschte es im Wasser.
    »Die Geschichte mit Mellery ist mir im Kopf rumgespukt«, bekannte er schließlich.
    Sie antwortete nicht.
    »Einzelne Teile und Bruchstücke, alles durcheinander. Kraut und Rüben, zu müde für einen klaren Gedanken.«
    Wieder kam nur versonnenes Schweigen von ihr.
    »Ständig ist mir dieser Name in dem Brief eingefallen.«
    »X. Arybdis?«
    »Woher...? Hast du uns gehört?«
    »Ich habe gute Ohren.«
    »Stimmt, trotzdem bin ich immer wieder überrascht.«
    »Weißt du, vielleicht ist es in Wirklichkeit gar nicht X.

    Arybdis.« Hinter ihrem beiläufigen Ton verbarg sich etwas ganz anderes als Beiläufigkeit, das wusste er aus Erfahrung.
    »Was?« Er stoppte.
    »Vielleicht ist es nicht X. Arybdis.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es war bei einer dieser atonalen Grausamkeiten in der zweiten Hälfte des Konzerts, als ich mir gerade dachte, dass diese modernen Komponisten das Cello wirklich hassen müssen. Wie kann man ein so herrliches Instrument bloß dazu zwingen, derart qualvolle Geräusche von sich zu geben? Einfach schrecklich, dieses Gekratze und Gejaule.«
    »Und …?« Er versuchte, sich nichts von seiner Unruhe anmerken zu lassen.
    »Wahrscheinlich wäre ich gegangen, aber das konnte ich nicht, weil ich Ellie mitgenommen hatte.«
    »Ellie?«
    »Ellie, die unten am Berg wohnt. Wir sind zusammen mit meinem Auto gefahren. Ihr hat es anscheinend gefallen, weiß auch nicht warum.«
    »Aha.«
    »Da hab ich mich also gefragt, wie kann ich mich ablenken, damit ich nicht einem der Musiker an die Gurgel springe.«
    Wieder spritzte es im Wasser, und sie brach ab, um zu lauschen. Obwohl er es nicht genau erkennen konnte, wusste er, dass sie lächelte. Madeleine mochte Frösche.
    »Und?«
    »Ich dachte mir, dass ich schon mal anfangen könnte, mir die Weihnachtskartenliste zu überlegen, es ist ja schon fast November. Also habe ich einen Stift genommen und ganz oben auf die Rückseite des Programms
›X-mas-Karten‹ geschrieben - nicht ›Weihnachtskarten‹, damit es schneller geht.«
    In der Dunkelheit spürte er ihren fragenden Blick mehr, als dass er ihn sah.
    »Weiter«, drängte er.
    »Bei dieser Bezeichnung fällt mir immer der kleine Tommy Milakos ein.«
    »Wer?«
    »Tommy war in mich verknallt, damals in der neunten Klasse an der Klosterschule.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Jedenfalls, eines Tages hat mich Schwester Immaculata, eine ziemlich kräftige Frau, zusammengestaucht, weil ich bei einer kleinen Klassenarbeit über katholische Feiertage ›Weihnachten‹ als ›X-mas‹ abgekürzt hatte. Jeder, der das so schreibt, hat sie gesagt, ixt Christus aus der ›Christnacht‹ aus. Sie war stinkwütend, und ich hatte Angst, dass sie mir eine klebt. Aber da ist der süße kleine Tommy mit seinen braunen Rehaugen aufgesprungen und hat gerufen: ›Das ist kein X.‹ Schwester Immaculata war total schockiert. Es war das erste Mal, dass es jemand wagte, sie zu unterbrechen. Sie hat ihn angestarrt, aber er hat einfach zurückgestarrt, mein tapferer Ritter. ›Das ist kein lateinischer Buchstabe‹, hat er gerufen, ›sondern ein griechischer. Man spricht ihn als ch. Es ist der erste Buchstabe von Christus auf Griechisch.‹ Tommy Milakos war natürlich Grieche, und alle wussten, dass er Recht haben musste.«
    Trotz der Finsternis glaubte er zu erahnen, dass sie bei der Erinnerung sanft lächelte und leise seufzte. Vielleicht hatte er sich bei dem Seufzen verhört - er hoffte es. Und noch was: Hatte sie soeben eingestanden, dass ihr braune Augen lieber waren als blaue? Jetzt komm mal wieder auf den Teppich, Gurney, das war in der neunten Klasse.

    Sie fuhr fort. »Vielleicht ist ›X. Arybdis‹ also ›Ch. Arybdis‹? Oder ›Charybdis‹? Ist das nicht irgendwas aus der griechischen Mythologie?«
    »Ach ja, stimmt.« Er überlegte. »Zwischen Scylla und Charybdis …«
    »Zwischen Hammer und Amboss?«
    Er nickte. »So was in der Richtung.«
    »Was ist was?«
    Er nahm die Frage kaum wahr, weil seine Gedanken schon im Schnelldurchlauf mögliche Auswirkungen der Charybdis-These abklopften. Dann spürte er ihr erwartungsvolles Schweigen. »Hmm?«
    »Scylla und Charybdis - was davon ist der Hammer, was der Amboss?«
    »Es ist keine direkte Übersetzung, nur eine Annäherung an die

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