Die Hebamme
besser mit deiner Haut«, sagte Clemens. »Was meinst du?«
»Weiß nich’«, murmelte Pauli, »kann sein.«
»Jedenfalls gehen die Entzündungen zurück. Nimmst du die Medizin regelmäßig?«
»Schon. Schmeckt nicht gut.«
Pauli zog den Kopf ein und lief zur Tür.
»’tschuldigung, ich meine … danke … das ist wirklich nett …«
»Da musst du dich bei der Gottschalkin bedanken, die hat dir diese Kur verordnet.«
»Wer is’n das?«, fragte Pauli und sah nicht aus, als wollte er es wirklich wissen.
»Die Frau, die unserem Institut kürzlich einen Besuch abgestattet hat, weißt du nicht mehr?« Clemens lachte. »Na, nun geh schon. Ich will dich nicht von deinen Pflichten abhalten.«
Pauli verschwand, als sei er auf der Flucht.
»Aber nimm deine Medizin weiter«, rief Clemens ihm nach, »es hilft doch!«
Er fühlte sich merkwürdig leicht, fast heiter, als er auf die abschüssige Gasse mit den eng stehenden Fachwerkhäusern hinaustrat. Von hier oben konnte er die grünen, weich geschwungenen Hügel vor der Stadt besonders gut sehen. Und darüber öffnete sich der Morgenhimmel verheißungsvoll, wie er fand.
Gesa hatte ihr Bündel gepackt, hastig und unter Tränen. Sie legte die Schürze ab, und die sichtbaren Spuren der Geburt darauf ließen sie erneut aufschluchzen. Sie faltete das Leinen mit zitternden Händen und zog die weiße Haube vom Kopf. Zum ersten Mal empfand sie das Haus als lebendig, sie lauschte auf die Schritte und Stimmen der Frauen in den unteren Kammern, das Scheppern von Geschirr und Töpfen aus der Küche. Selbst die mürrischen Äußerungen der Textor, die dann und wann zu hören waren, schlossen Gesa auf eine plötzlich schmerzhafte Weise aus.
Irgendwo im Haus hielt der Professor sich mit seiner Wut auf, im Auditorium vermutlich, wo er auf die Studenten wartete, die Pauli umsonst zusammenrief.
Die Frauen würden zu Untersuchungen in das Auditorium geführt, der Unterricht an diesem frühen Morgen anders als gedacht gestaltet werden, und das alles würde den Professor immer weiter und maßlos verärgern.
Es war schnell vor sich gegangen mit der Nachgeburt, als sollte ihr kein Aufschub mehr vergönnt sein. Nichts, was ein Einlenken möglich machte, oder ein Wunder. Und sie hatte schlafwandlerisch gehandelt, wie blind und taub gegen das Flüstern der Frauen, die schüchternen Händedrücke. Sie wusste kaum mehr, wie sie es hinter sich gebracht hatte, nur, dass die Textor verächtlich schweigend in der Nähe geblieben war.
Gesa ging aus der Schlafkammer, und es schien ihr selbstverständlich, die Stufen zu Doktor Heusers Studierzimmer hinaufzusteigen. Erst oben, im Halbdunkel vor der Tür, zögerte sie, ließ sich auf der Treppe nieder, umklammerte das Bündel in ihrem Schoß. Sie legte die Stirn auf ihre Knie und wartete ein wenig, bis sie sich beruhigt hatte. Dann schließlich stand sie auf und betrat das Zimmer, von dem sie wusste, dass es verlassen war.
Auf dem Arbeitstisch konnte sie trotz der Unordnung sofort Feder und Tintenfass entdecken. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, als sie sich über den Tisch beugte, an dem er so oft saß; als sie nach einem leeren Blatt Papier suchte und es fand, als sie den Deckel des Tintenfasses öffnete, als sie die Feder eintauchte und abstrich, als ihre Hand über dem Blatt stockte. Sie schrieb Lieber und spürte wieder die Tränen kommen. Sie richtete sich auf.
Noch nie hatte sie eine Sammlung weiblicher Becken gesehen.
Die verkrümmten Wirbel in ihnen, Kupferdrähte, die von Knochen zu Knochen gespannt waren, all dies spiegelte sich mit einem Mal in ihrem Gesicht, das ihr von den Glastüren entgegensah, so bleich wie alles, was sich dahinter befand.
Sie stolperte auf der Treppe, es gab kein Bemühen mehr, lautlos zu verschwinden. Das Poltern von Tante Beles Schuhen an ihren Füßen, auf den Böden dieses Hauses, trieb sie an, es noch schneller zu verlassen. Niemand schien ihr mehr begegnen zu wollen, und sie war dankbar dafür. Vorbei an verschlossenen Türen, die noch einmal Professor Kilians Botschaft mitteilten, hastete Gesa durch die düsteren Flure.
Draußen blendete sie das Licht.
Jemand fing sie auf. Jemand sprach ihren Namen aus.
»Gesa«, sagte Clemens.
In seinen Augen war eine Freude, die zu nichts passen wollte. Sie spürte die Bewegung seiner Fingerkuppen über ihren Brauen, an den Schläfen, an Wangen und Kinn, ohne zu glauben, dass es wirklich geschah. Doch wie er sie hielt, das war etwas sehr Schönes, und sein
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