Die Hebamme
über ihre Schwangerschaft in Kenntnis setzte, eine eigene Geschichte. Das Bett, in dem sie geliebt worden war, obwohl sie es so nicht nannte, der Tisch mit den Büchern, von dem Gesa sich jetzt erhob, die beschriebenen Bögen, Elgins Arbeit, von der sie mit Zärtlichkeit sprach, das Flackern des Öllichts, das all dies belebte.
»Als Sie die Kindsregungen spürten«, sagte sie, »wäre es da nicht noch Zeit gewesen, zu ihm zu gehen?« Jede Frage, fürchtete Gesa, könnte die falsche sein.
»Nein«, sagte Elgin, »es hätte nichts geändert. Es wäre zu keiner Zeit richtig gewesen. Das glaube ich jetzt noch, oder jetzt erst recht.«
Sie wandte sich vom Fenster ab, mit geradem Rücken und einer Miene, die verriet, wie sehr sie sich mühte, wieder in eine Ruhe zu finden, die es keinesfalls in ihr geben konnte. Gesa wünschte, sie würde sich wenigstens in die Nähe des Kachelofens bewegen, als könnte es ihre Starre lösen.
»Es wird dunkel«, sagte Elgin. »Müssen Sie nicht längst gehen?«
»Das ist jetzt nicht wichtig.«
»Vielleicht haben Sie Recht. Selbst Ihrem Professor wird es heute nicht wichtig erscheinen.«
»So meinte ich das nicht.«
»Ich weiß«, Elgin lächelte schwach. »Verzeihen Sie mir.«
»Ich will Ihnen helfen«, sagte Gesa.
»Das haben Sie bereits. Sie haben mir zugehört, ohne sichtlich zu erschrecken. Ich danke Ihnen dafür.«
»Und jetzt möchten Sie, dass ich alles möglichst schnell wieder vergesse? Ich soll gehen und Sie allein weiter hart mit sich sein lassen?«
»So gut kennen Sie mich? Sie verfügen wohl über eine besondere Art von Klugheit.«
»Es erinnert mich nur an jemanden, wie Sie gegen sich sind.«
»Es macht mir Angst, was ich herbeigeführt habe.«
»Das Kind?«
Elgin schwieg.
»Was wollen Sie tun?«, fragte Gesa.
»Die Frage ist doch, was werden die anderen tun? Ich werde nicht länger allein über mein Leben bestimmen. Das werden die anderen übernehmen, und vielleicht ist es die gerechte Strafe dafür, dass ich offenbar hochmütig bin. Mein Hochmut hat …« Elgin senkte den Kopf und sah wieder auf. Ein Zucken um ihre Mundwinkel brachte sie mit einem Atemzug unter Kontrolle. »Es hat ihn umgebracht. Gesa, fangen Sie gar nicht erst an, mich zu mögen. Warmherzige Menschen wie Sie weiß ich nämlich nicht zu schätzen, hören Sie? Ich kann rein gar nichts mit ihnen anfangen. Ich bin nur von Berufs wegen ein guter Mensch, begreifen Sie das? Damit wird es also bald vorbei sein.«
»Aber das ist nicht wahr! Ich will kein Wort davon glauben.« Sie wollte zu ihr, die sich vom Fenster forttastete, hielt sich zurück, weil sie die Hand hob, als müsse sie sich vor ihr schützen. Sie nahm sich in Acht, denn sie war wie Bele damals, mit ihrer von Elfen verzauberten Haut, die man nicht berühren durfte, da sie sonst in tausend Stücke zersprang. Stattdessen also nahm Gesa einen Bogen von dem Manuskript auf dem Tisch, wogegen Elgin keine Einwände zu haben schien. Sie blieb, wo sie war, und beobachtete Gesa, die las.
Der Zeitraum der Empfängnis, das Alter der Mutter, ihre Lebensart und Leidenschaften besonders während der Schwangerschaft scheinen zu Größe und Gewicht des Fötus beizutragen. Sie sind indessen sehr veränderlich. Ein Embryo von zwanzig Tagen gibt sich die Gestalt einer großen Ameise, eines Lattichkerns, dann eines Gerstenkorns und später die einer Biene.
Sie legte das Blatt zurück. Unter zusammengezogenen Brauen folgten Elgins Augen ihrer Bewegung, nachdenklich, als erwog sie mehrere Korrekturen.
»Wann auch immer Sie das geschrieben haben«, sagte Gesa, »und was immer Sie an jenem Tag über sich wussten – das ist, was Sie zu geben haben. Und so, wie es sich liest, kann es nicht von der Frau kommen, die Sie mir weismachen wollen zu sein. Sie müssen weiterschreiben. Lehren. Ich will die Erste sein, die zu Ihnen kommt. Was Sie sind, ist nicht vorbei. Es verändert sich nur.«
Draußen auf der Treppe war ein Ächzen zu hören, als Elgin langsam aus ihren Gedanken aufzutauchen schien.
Marthe betrat das Zimmer, ohne zu klopfen.
»Man hat dies für Sie abgegeben«, sagte sie. Die Rolle aus dickem Papier hielt sie fest. »Der Herr hat mit den wärmsten Empfehlungen darum gebeten, es Ihnen sogleich zu überreichen.«
Marthes Blick drängte Gesa zur Tür, während sie einen grünen Morgenmantel vom Bett nahm. Ihrer Herrin näherte sie sich energisch und wartete dicht bei ihr.
»Ich wünschte, ich wäre müde«, sagte Elgin.
Erst als sie sich
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