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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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Elgin zu unterrichten, und nie machte er einen Unterschied zwischen ihr und seinen Studenten. Noch heute standen sie im Briefwechsel miteinander, und Professor Wolf unterstützte Elgin in dem Vorhaben, das in den vergangenen Jahren immer mehr Gestalt angenommen hatte. Die ersten Niederschriften hatte sie verbrannt, sie war streng mit sich, zu streng möglicherweise. Doch das konnte ihr nur nutzen, denn sie musste gewappnet sein, wenn sie – Elgin Gottschalk – ans Licht der Öffentlichkeit treten und ein Handbuch für Hebammen vorlegen wollte.
    Seit sie sich damit beschäftigte, empfand sie eine Sehnsucht nach ihrem Vater wie schon lange nicht mehr. Es war ein ungewohnt schmerzhaftes Gefühl, etwas ganz anderes als das Bedauern darüber, dass er nicht mehr feststellen konnte, wie richtig es gewesen war, was er für seine Tochter getan hatte. Dass sie in einem Leben glücklich war, welches er sich für keine andere Frau hätte vorstellen können. Nie hatte Matthäus Gottschalk seine Tochter mit Heiratskandidaten belästigt, das erstaunte sie heute noch manchmal, wenn sie daran dachte. Denn sie hatte keine Erinnerung daran, sich ihm jemals in dieser Richtung erklärt zu haben. Nein, es war nicht sein Stolz, der ihr fehlte. In letzter Zeit versuchte sie sich oft vorzustellen, was sie aus ihrem gemeinsamen Wissen und ihren Erfahrungen hätten schöpfen können. Doch wer wusste das schon? Mit dem Aufheben von Grenzen hatte Professor Gottschalk schlechte Erfahrungen gemacht.
    Es kam ihr plötzlich stickig vor in dem Zimmer. Elgin ging zum Fenster und schob die schweren Vorhänge auseinander. Draußen war es inzwischen dunkel geworden, was ihr im Licht der Öllampen entgangen war. Sie entriegelte das Fenster und atmete die kühle Luft ein.
    Ihr Vater war gestorben, nur wenige Monate nachdem sie ihre Prüfung in Wien mit Bravour abgelegt hatte. Man konnte es sich nicht erklären, und niemand stellte einen Zusammenhang her zu einer winzigen Schnittwunde, die der Professor sich bei einer Leichenöffnung während des anatomischen Unterrichts zuzogen hatte. Es gab Meinungen darüber, vor allem solche, die es als gerechte Strafe verzeichneten. Elgin jedenfalls hatte Freiburg verlassen, denn tief in ihrem Innern war sie überzeugt, dass Matthäus Gottschalk an etwas gestorben war, was sich in dieser Stadt abgespielt hatte. Ihr Groll war so groß, dass er ihren Kummer eine Weile überlagerte, und sie war versucht, ihren Vater in Wien zu Grabe zu tragen, weil er die Zeit dort geliebt hatte, ebenso wie sie. Doch Elgin ließ ihn an der Seite seiner Frau zur Ruhe betten, so wie er es sich gewünscht hatte. Als sie seine Papiere ordnete, erfuhr sie von dem Haus in Marburg, dem Elternhaus ihrer Mutter. Seitdem war sie hier.
    Hinter sich hörte sie ein Ächzen.
    »Gottschalkin?«
    »Ich komme.« Elgin schloss die Fenster, ging zum Bett und befestigte die Vorhänge. Malvine lag auf der Seite und verzog das Gesicht.
    »Geht es voran?«
    Malvine nickte. »Zu heftig für meinen Geschmack.« Sie griff an ihren Rücken und stieß den Atem aus. »Jetzt geht diese Viecherei wieder los. Ach, ich wünschte, es wäre schon vorbei.«
    Ihr Stöhnen klang unwillig.
    »Nicht so ungeduldig, Malvine, gib deinem Körper Zeit, seine Arbeit zu tun. Du hast doch Erfahrung damit, bislang keine schlechte.«
    Elgin ging um das Bett herum und legte eine Hand auf Malvines Knie, die sich unter der verebbenden Wehe entspannte.
    »Ich bin nicht sonderlich tapfer, Gottschalkin, das weißt du von mir, nicht wahr?«
    »Ich habe das anders in Erinnerung. Du hast zwei Geburten vortrefflich gemeistert.«
    Malvine richtete sich auf und schob sich zurück, bis sie in dem Kissenberg am Kopfende lehnte. Dabei ließ sie Elgin nicht aus den Augen, die nach der gläsernen Flasche auf dem Nachtschränkchen griff und sich am Bettrand niedersetzte.
    »Ich habe mich recht aufgeführt und geschrien.«
    »Das wirst du wieder tun.«
    Beide trugen ernste Mienen zur Schau, nur in Malvines Augen funkelte es ein wenig, als könne sie sich nicht zwischen Trotz und Heiterkeit entscheiden. Elgin ließ Öl in ihre Hände fließen und rieb sie ineinander, während sie weitersprach.
    »Sieh es so, Malvine. Wir machen uns auf eine Reise, es ist nicht direkt ein Spiel wie das deiner kleinen Töchter mit ihrem Herrn Papa …«
    Malvine ließ einen dumpfen Laut hören und verkrampfte sich unter der nächsten Wehe.
    »Sprich nicht von ihm jetzt! Ich kann ihn gerade nicht leiden.«
    »… die Wehen

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