Die Hebamme
kunstvoll gearbeitetes Stück mit vielen Schubladen. Sie beschloss, herauszufinden, welche Werkstatt solche Möbel herstellte. Es musste praktisch sein, fliegende Blätter und Schriften zu sortieren, anstatt sie in unübersichtlichen Haufen auf dem Tisch zu stapeln. Die Schübe sollten zu beschriften sein, dachte sie und achtete nicht weiter auf Bettina, die ins Zimmer huschte, etwas auf dem Tisch abstellte und wieder ging. Sie hätte sie fragen können, was die Magd Rena derart zum Weinen gebracht hatte, aber sie dachte über Schränke nach und nicht an Tränen. Außerdem hatte sie das Bedürfnis zu schweigen.
Mit einem Teller Königinsuppe, die man auf der Basis eines fetten Huhns für das erste Wochenbettmahl der Frau Rat zubereitet hatte, war Elgins Hunger wenig später gestillt. Sie spürte dem Geschmack von Mandeln und Pistazien nach und ließ zwischen ihren Zähnen einen Granatapfelkern zerplatzen. Zum wiederholten Mal nahm sie sich vor, die Köchin nach dem Rezept dieser Komposition zu fragen. Aber schon beim nächsten Gang, einer Ochsenzungenpastete, vergaß sie es über dem Erraten der Gewürze. Sie schmeckte Nelken, Muskatnuss und Ingwer, und sie hörte die Schritte des Richters auf der Treppe. Elgin wusste, dass ihm noch an einer kurzen Plauderei mit ihr gelegen war, es entspannte ihn offensichtlich. Sie hoffte, er würde sich bald dazu einfinden, denn sie war müde.
Friedrich Homberg erschien zum Kaffee, der zusammen mit frisch gebackenem weißen Brot und Quittenmus auf den Tisch kam. Im Vorbeigehen platzierte er die Münzen für Elgins Entlohnung in einem Kuvert dezent neben ihrem Teller, und noch während er den Tisch umrundete sagte er: »Was für ein Tag. Ich bin Vater eines Sohnes geworden!«
Er zog einen Stuhl zurück und setzte sich. Er war ein dünner Mensch mit zurückweichendem Haar und großen, trägen Augen. Immer sah er aus, als friere er, und man wollte ihm raten, etwas zu essen. Jetzt jedenfalls war er viel zu nervös, auch nur einen Bissen hinunterzubringen, nicht einmal eine kleine Süßigkeit. Er griff zur Mokkatasse, ohne daraus zu trinken, und stellte sie mit zitternder Hand wieder ab. »Sie wissen, Gottschalkin, ich liebe meine Töchter, und doch … ist die Geburt eines Sohnes von so besonderer Bedeutung. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass es mich in ganz … anderer Weise glücklich macht.«
»Das, was es anders macht, ist Ihr Stolz«, sagte Elgin und sog den warmen Duft des Kaffees ein, bevor sie einen Schluck davon nahm. »Als hätten Sie sich gleichsam noch einmal erschaffen.«
Homberg stutzte zwar für einen Moment, doch er konnte nicht aufhören zu lächeln.
»Es klingt ein wenig lästerlich, wie Sie das sagen.«
»So ist es durchaus nicht gemeint, Herr Justizrat. Aber Sie können es als Frage verstehen, wenn Sie möchten. Finden Sie etwas an dem Gedanken, dem Sie sich annähern wollten?«
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie mich auf brüchiges Eis stellen wollen. Sie sind eine kluge Frau, Gottschalkin, und vielleicht finden Sie deshalb Gefallen daran, einen Mann der Eitelkeit zu überführen. Aber glauben Sie mir, damit machen Sie es sich zu einfach.«
Homberg gehörte der handverlesenen Gruppe von Juristen im Stadtrat an. Das Richteramt hatte in seiner Familie Tradition, ebenso die akademische Bildung. Dass er das Amt des Bürgermeisters anstrebte, war Elgin von Malvine zugetragen worden.
»Sie haben Recht«, sagte sie. »Es ist zu einfach, und deshalb liegt mir überhaupt nicht daran. Aber was ist das? Was ist einem Vater der Sohn? Was suchen Eltern in ihren Kindern, wenn sie denn nach etwas suchen? Sich selbst? Oder das, was sie hätten sein können? Sie haben sich einen Sohn gewünscht, und jetzt, da er geboren ist, scheinen Sie die Welt mit anderen Augen zu sehen. Erklären Sie es mir.«
»Ich vermute, in der Erklärung von Gefühlen sind Frauen begabter. Malvine hat einmal gesagt, das Kind sei ein Teil ihres Wesens und ihrem Gefühl nach der bessere. Vielleicht genießen wir in den Kindern die Schöpfung?«
»Genießen Sie es?«
Homberg räusperte sich und trank von seinem Kaffee.
»Aber ja! Es ist doch faszinierend, im Kleinen zu entwickeln, was auf die Gesellschaft Einfluss haben wird. Wie die Quelle, so der Bach, es scheint mir ein treffendes Bild. Das Glück der Familie ist ein Beitrag zum öffentlichen Wohl eines Staates. Und Sie, Gottschalkin, stelle ich fest«, drohte er ihr gut gelaunt, »Sie haben ein gewisses Talent zum Verhör.
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