Die Hebamme
Sagen Sie mir lieber, ob Sie das Essen genießen konnten, obwohl Sie es leider ohne Gesellschaft einnehmen mussten. Hat es Ihnen geschmeckt? Ich hoffe doch, die Tränen unserer Rena haben die Speisen nicht versalzen?«
Rena?, dachte Elgin. Dann hatte sie wieder das Schniefen des Mädchens mit dem Bettzeug im Ohr, und während Richter Homberg höflich auf eine Antwort wartete, fragte sie zurück: »Wissen Sie denn, was ihr solchen Kummer macht?«
Homberg legte seine Hände flach auf den leuchtend weißen Damast des Tisches und lehnte sich zurück.
»Das Mädchen aus der Lahn. Sie haben nichts davon gehört?«
»Nein«, sagte Elgin, und es war ein Moment, von dem sie später sagen könnte, sofort eine hässliche Ahnung verspürt zu haben.
»Ach was, natürlich nicht«, schalt Homberg sich selbst. »Auch ich habe es nur durch meinen Besuch in der Küche erfahren. Unsere Magd, von der ich erst jetzt weiß, dass sie Rena heißt, sie weinte und weinte. Sie konnte es nicht vor mir verbergen. Ich schreibe es meiner eigenen, allerdings vor Freude aufgewühlten Stimmung zu, dass ich sie fragte, was denn los sei. In Gottes Namen, ich brauchte Geduld, um ihre gehechelten und gestotterten Worte zu verstehen. Es ging um eine andere Magd, eine junge Frau, mit der sie wohl Freundschaft geschlossen hatte. Gestern im Morgengrauen hat man sie aus der Lahn gezogen. Sie war von der Brücke gesprungen, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Allein dieser Versuch ist ein Verbrechen. Doch die Frau hat überlebt, und es kommt noch schlimmer. Vielleicht ist es das, was die brave Rena so verzweifeln lässt, weil sie von alldem nichts wusste. Die sie für eine Freundin hielt, hatte ihr einiges verschwiegen.«
Der Richter stand auf und begann an der Längsseite des Tisches auf und ab zu schreiten. Als er ihr den Rücken zuwandte, schloss Elgin die Augen. Sie wusste, von wem er sprach. Sie machte sich Vorwürfe. Sie hatte ihr angeboten, sie solle zu ihr kommen, bevor sie Marburg verlassen würde. Sie hätte es ihr befehlen müssen.
»Sie war bei einem Handwerksmeister verdingt«, hörte sie Homberg sagen. »Einem Töpfer, meine ich zu erinnern. Seine Frau geriet völlig außer sich, als man sie zu dem Vorfall befragte. Auch sie weinte. Und so kam alles ans Licht.«
Der Richter wandte sich Elgin zu, und sie sah ihm entgegen.
»Man sagt, die Meisterin war nicht zu beruhigen«, sagte er, »Sie hörte nicht auf, nach dem Kind zu fragen. Wo ist das Kind?, fragte sie immer wieder. Wo ist das Kind?«
Homberg seufzte, ohne dass Elgin hätte sagen können, welcher Gefühlsregung dieser Laut entsprang.
»Ja«, sagte Homberg, »das wird nun herauszufinden sein.«
Drei
Seine Sammlung zu betrachten befriedigte Professor Anselm Kilian in letzter Zeit immer weniger, denn es war schon lange nichts mehr hinzugekommen. Die Glaszylinder bargen embryologische Feuchtpräparate, die er bereits aus Kassel mitgebracht hatte, ebenso wie eine beachtliche Anzahl von kindlichen Schädeln. Die kleinsten von ihnen waren nicht größer als die einer Feldmaus, und manchmal, wenn er das Staunen seiner Studenten sah, dann freute ihn das aufrichtig. Gleichzeitig belebte es auch den Wunsch, ihnen noch viel mehr zeigen zu können.
Ihn selbst begeisterte besonders die ästhetische Perfektion von Moulagen – lebensgroßen Körperplastiken aus Wachs, die man auseinander nehmen konnte, um die Organe zu betrachten. Sie entstanden im Zusammenwirken von Künstlern und Anatomen, wobei ihnen präparierte Leichname zur Anfertigung von Gipsschablonen dienten. Kilian besaß bislang nur eines dieser lehrreichen Kunstwerke: ein Halbrelief, das den geöffneten Unterleib einer Schwangeren freigab. Ihre Haltung und Lieblichkeit konnten durchaus an die Venus von Medici erinnern, wenn man dergleichen bei ihrer Betrachtung zulassen wollte. Weitere Plastiken zu erwerben, um den Unterricht zu bereichern, daran war nicht zu denken. Dabei schwebten ihm nur bescheidene Kleinode vor, etwa Nachbildungen des Muttermundes, aber das musste wohl warten.
Und die Präparate? Den Bestand seiner Schätze in Terpentinöl, luftdicht verschlossen unter dem getrockneten Gewebe von Schweins- oder Rinderblasen, könnte er ohne große Kosten erweitern. Er war ein begeisterter Präparator, so wie es jeder akademisch gebildete Arzt sein musste, der seine eigenen Forschungen betreiben wollte. Im Präparieren war Kilian deutlich begabter als in der Herstellung anatomischer Zeichnungen, und es hatte immer wieder
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