Die Hebamme
Daniel Collmann, ich bin zur Verteidigung von Lene Schindler bestellt worden. Ich … nun, ich habe erfahren, dass Sie die Jungfer Schindler aufsuchen wollten.«
»Dann haben Sie ebenso erfahren, dass ich nicht vorgelassen wurde, nehme ich an?«
»Ja, natürlich. Den Inquisiten aufzusuchen ist allenfalls einem Verteidiger oder dem Pfarrer gestattet.« Collmann hatte bereits einige Male den Kopf gedreht.
»Richter Homberg … Ich möchte nicht, dass er bedauert, mich zur Taufe seines Sohnes eingeladen zu haben. Unsere Familien pflegen schon seit langem freundschaftlichen Umgang …«, er seufzte und legte seine Stirn in Falten, »aber das tut nichts zur Sache. Es würde ihm am heutigen Tag sicher nicht gefallen, wenn er mich im Gespräch mit Ihnen sähe.«
»Auf dem Kirchhof ist der Herr Rat nicht mehr zu sehen, falls Sie das beruhigt.«
»Wissen Sie, dass er gegen Lene Schindler das Verfahren wegen Kindsmordes führt?«
Elgin sah schweigend zur Kirche. Über ihr lag das Schloss und in seinem Schatten der Weiße Turm, nicht weit vom Haus des Richters entfernt. Nie wieder war dort ein Wort über Lene gefallen. Elgin hatte angenommen, der Richter wollte seine Gattin im Wochenbett mit derlei Grausamkeiten nicht beunruhigen.
»Ich weiß, dass man sie dessen verdächtigt«, erwiderte sie. »Marthe, meine Magd, hat mir einiges von dem berichtet, was sie am Waschplatz gehört hat. Demnach hat man aber doch das Kind bis jetzt nicht gefunden?«
Collmann wirkte erleichtert, als die Glocken verstummten. Es ermöglichte ihm, die Stimme zu senken, obwohl niemand mehr da war, der ihnen hätte zuhören können.
»Ich hoffe, dass es dabei bleibt, und das ist alles, was ich jetzt dazu sagen will. Verzeihen Sie mir, wenn ich nicht weiter darauf eingehe und Ihnen auch keine Fragen dazu beantworten kann. Sie sind eine bedeutungsvolle Zeugin, so viel ist sicher. Daher lassen Sie uns Spekulationen und Interpretationen einer Schuldfrage heute vermeiden.«
»Was wollen Sie dann von mir?«
»Aus welchem Grund sprachen Sie am Weißen Turm vor?« Das Gesicht des jungen Mannes wurde von der Krempe seines hohen Hutes überschattet. An der linken Schläfe löste sich ein Schweißtropfen.
»Ich hatte vor, meiner Verpflichtung als Hebamme nachzukommen«, sagte Elgin, »dazu gehört im Allgemeinen, die Wöchnerin auch nach der Entbindung mehrmals aufzusuchen. Ich hatte Kleidung für sie dabei und Wäsche zum Wechseln. Tücher, damit sie ihren Wochenfluss auffangen kann. Ich hatte Kräutermischungen für die Waschungen vorbereitet und Umschläge für ihre Brüste, da ich es für möglich hielt, dass sie sich entzündet haben. Beantwortet das Ihre Frage?«
Collmann nickte schwach. Er hatte ein Tuch aus der Tasche seines Gehrockes gezogen, nahm den Hut ab und fuhr sich über die Stirn. Seine fast weißblonden Haare lagen wie feuchte Flaumfedern dicht an seinem Kopf.
»Ich hätte das Mädchen gern noch einmal untersucht«, fuhr Elgin fort. »Vielleicht können Sie mir etwas über ihren körperlichen Zustand sagen?«
Einen kurzen Moment lang musterten sie sich wortlos, und man hätte nicht sagen können, bei wem die Skepsis hinsichtlich seines Gegenübers größer war.
»Allein in diesem Punkt kann ich ihr nämlich Linderung verschaffen«, sagte Elgin. »Ich muss weder Ihnen noch mir die Frage stellen, wie es um Lenes Gemüt bestellt ist, verstehen Sie? Doch es beruhigt mich, falls Sie mir mangelnde Anteilnahme unterstellen. Dann es fehlt Ihnen offensichtlich nicht daran.«
Collmann betrachtete den Hut in seiner Hand.
»Sie war in einem erbärmlichen Zustand. Verwahrlost und vollkommen ohne Hoffnung. Wenn Sie wissen, welchem Elend ich bei meinem ersten Besuch begegnete, dann erspare ich mir und Ihnen eine weitere Beschreibung. Ich hatte bis dahin noch keine Vorstellung davon. Es hat mich erschüttert.«
»Belassen Sie es nicht dabei.«
»Ich habe die lästige Angewohnheit, den Dingen auf den Grund zu gehen.« In Collmanns Mundwinkeln zuckte etwas, das einem Lächeln gleichkam und sofort wieder verschwand. »Natürlich kann ich keine zuverlässige Aussage über das körperliche Befinden von Jungfer Schindler machen, aber ich hielt es für dringend angezeigt, ihr die Hilfe eines Arztes zukommen zu lassen. Richter Homberg stimmte dem zu, doch Lene Schindler geriet bei der bloßen Erwähnung eines solchen Unterfangens völlig außer sich. Sie sprach von Ihnen. Homberg lehnte ab. Kategorisch. Nicht umzustimmen. Er wollte sich von einer …
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