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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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und Illustrator, akribischer Handwerker und geduldiger Perfektionist. In dessen Werkstatt schon allein die Atmosphäre sie gefangen nahm: die Luft, in der sich Kupferpartikel und Kreidestaub mit dem Geruch von Leinöl und Ruß zu flirrender Materie vermischten; die Druckerpresse, wuchtig den Raum beherrschend, mit dem schweren Rad, das die Walzen bewegte; der geneigte Tisch vor dem nach Norden gerichteten Fenster, wo das Tageslicht den schwächsten Widerschein auf dem Kupfer auslöste; kleine Flaschen mit Öl und anderen Essenzen, unzählige Lappen aus feinem Flanell oder Leinen zum Auftragen und Wischen der Farbe. Stählerne Stichel und Schaber, Werkzeuge, die sie entfernt an chirurgische Instrumente erinnerten.
    Bei ihrer zweiten Begegnung hatte Elgin den Mann gebeten, ihr zu demonstrieren, wie er damit arbeitete. Büttner war dem zunächst zögerlich nachgekommen, doch dann – als er sich entschloss, ihre immer weiterführenden Fragen als ernsthaftes Interesse anzuerkennen – fanden seine Antworten aus der Einsilbigkeit heraus. Mehr als jedes erklärende Wort faszinierte Elgin, wie sehr sich die Körpersprache dieses groß gewachsenen, knochigen Menschen verändert hatte, als er sich seiner Arbeit zuwandte. Alles Linkische, was ihm sonst anhaftete, wenn er in der Werkstatt umherging oder gestikulierte, löste sich in weiche, fließende Bewegungen auf, und das begann bereits, noch bevor er den Stichel ansetzte. Schon wenn er die Kupferplatte auf das mit Sand gefüllte Lederkissen legte, wirkte der ganze Mann, als hätte man ihm aus einer Rüstung geholfen. Aus der konzentrierten Kraft seines Handtellers hatte sie an der Spitze des Werkzeugs feine Furchen entstehen sehen, die sich unter seinem Atem zu heben und zu senken schienen.
    An diesem warmen Morgen stand die Tür der Werkstatt offen, und als Elgin in den Hinterhof des Hauses trat, leuchtete ihr aus seinem Inneren das weiße Haar des Kupferstechers entgegen. Er hatte noch nicht das Alter dafür, doch der frühe Verlust seiner natürlichen Haarfarbe hatte sein Gutes, denn es erhellte die Züge eines markanten Gesichts, das man für düster halten konnte.
    Es freute sie so sehr, ihn über eine Kupferplatte gebeugt vorzufinden, zu erkennen, wie er mit einem Lappenball die glatten Flächen von der schwarzen Farbe befreite. Büttners Ehrgeiz war eine Segnung, seine Unruhe eine Anerkennung. Sein Wunsch, ihr schon so bald ein erstes Ergebnis vorzulegen, das er ausdrücklich als Entwurf verstanden haben wollte, hatte sie selbst vorangetrieben in der Niederschrift ihrer ersten Kapitel. Es war, als rechtfertigte seine Arbeit die ihre. Wie sicher sie sich in der Gesellschaft seines Schaffens fühlte – es würde sie keinerlei Überwindung kosten, das zuzugeben.
    Er begrüßte sie mit einem Nicken. Sie empfand es als Aufforderung zum Schweigen. So hielten sie es, während er sie näher treten ließ, zur Druckerpresse, wo er die Platte auf das Laufbrett legte, darüber das angefeuchtete Papier und mehrere Lagen Wollstoff. Unter dem schwerfällig rollenden Ton der Walzen bewegte sich das Brett durch die Presse, und Elgin, die ihre Hände auf dem Rücken verschränkt hielt, bemerkte ein angespanntes Zittern in ihnen, als Büttner sich endlich vom Rad abwandte, den Bogen vorsichtig an zwei Ecken fasste und ihn langsam vom Kupfer abzog. Sie sah eine Falte zwischen seinen Augen aufsteigen, an der sich seine hellen Brauen stießen und wieder glätteten, als er das Blatt ein wenig sinken ließ.
    »Kommen Sie, Gottschalkin. Unser erster Probedruck. Ich möchte Ihre Meinung hören.«
    Büttner befestigte das Blatt an einer Leine, trat zurück und lehnte sich an die Presse. Worüber sie gesprochen hatten, waren Darstellungen von Kindslagen, anhand deren sie Griffe zur Wendung erläutern wollte. Was Elgin vor sich sah, war die naturgetreue Abbildung eines Ungeborenen, wie sie ihr noch nie zu Gesicht gekommen war: Frei von der Hülle der Gebärmutter, schien es schlafend zu schweben, mit angezogenen Beinen, die sein Geschlecht freilegten, die Hände mit weich sich öffnenden Fäusten an eine Wange gelehnt. Sie konnte die Hautfalten in Knie- und Armbeugen sehen und die Rippen der ihr zugewandten Seite zählen.
    »Vielleicht werden Sie es nicht für Ihr Buch verwenden – sehen Sie es als eine Studie.«
    »In dem, was es ausdrückt, ist es vollkommen. Und wissen Sie, Büttner, das ist eine schöne Idee, das Buch mit dem Bildnis dieses Ungeborenen zu eröffnen. Als würde ein

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