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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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dankbar. Sie wussten ja nicht, was für ihn dabei rausspringen würde. Niemand fragte mehr was, als Frieder den Toten die Stiege hinuntertrug und ihn wie einen Schlafenden auf den Karren bettete. Auf den Landstraßen nach Marburg hatte er Frieder angetrieben wie einen alten Gaul. Der Sommer verlangte einen zügigen Transport, sagten die Doktoren.
    Trotzdem mussten sie jetzt noch ein bisschen warten. Bis zur Weidenhäuser Brücke würden sie eine halbe Stunde brauchen und von da aus vielleicht noch mal so lang bis zur Anatomie. Man nahm eine Lieferung wie seine gern zu bestimmten Zeiten in Empfang, wenn nicht gerade die ganze Stadt auf den Beinen war. Man wollte Missverständnisse vermeiden und Aufregung unter den Leuten. Konrad hatte für alles Verständnis, was keinen Ärger geben durfte. Von Anfang an war er schlau vorgegangen. Bei dem Kind hatte er sogar dran gedacht, das Band von der Nabelschnur zu lösen. Dann musste er es nur noch ein bisschen seinem Bruder in die Hand geben.
    So schwer zu glauben war es auch für die Doktoren nicht, dass eine ihr Kind loswerden wollte irgendwo am Feldrand, dafür passte jeder gottverlassene Ort. Und dass der Anatomie die unehelich Geborenen und Gestorbenen sowieso zustanden, war ihm gleichgültig. Den Herren aber lag an den Verordnungen, sie taten jedenfalls so, wenn sie ihm damit kamen, was erlaubt war und was nicht. Er verstand das so, dass er sich nicht erwischen lassen sollte, und seitdem hatte er ein Auge darauf, wo Leute starben.
    Die Doktoren zahlten vier Taler für eine Leiche, selbst für die ganz kleinen. Sie waren aber auch an Riesen interessiert. Dafür hatte er drei Kreuze auf einen Schrieb gemacht und das Wartegeld genommen, weil sie sagten, ein Riese würde nicht alt.
    Konrad stemmte sich hoch, ging steifbeinig zum Karren hinüber und nahm die Laterne vom Haken. Er schlug nach den Fliegen, die aus dem Inneren des Karrens aufschwärmten, und trat Frieder in die Seite.
    »He, aufstehen, Bruder! Wir müssen los.«
    Er konnte sehen, wie Frieders Augendeckel zuckten, bevor sie aufklappten. Fast verlegen kratzte er sich mit beiden Händen am Kopf und grinste zu Konrad hoch. Der dumme Kerl hatte es tatsächlich gern, wenn er ihn Bruder nannte.

    Ein wenig gab das neue Kleid ihr das Gefühl, als ginge sie nackt zu einem verbotenen Treffen. Und was Elgins Pläne für den Nachmittag anbelangte, jene, die man ihr aufgedrängt hatte, so kam sie nicht umhin, diese genauso zu betrachten.
    Sie bereute nicht erst in diesem Moment, dass sie nachgegeben hatte, Lambert außerhalb der Verschwiegenheit ihres Hauses zu treffen. Eben, als sie es verlassen hatte, war sie mit dem Ärmel ihres blauen Kleides an einer Rosenranke hängen geblieben, und während sie vorsichtig die dornigen Widerhaken aus dem Stoff löste und nach Marthe rief, hatte Gereiztheit sie schneller atmen lassen. Sie war schon an der Pforte, als Marthe die Rose abgeschnitten hatte und ihr nachrief, sie werde sie auf ihren Arbeitstisch stellen, und Elgin hatte im Weitergehen geantwortet, sie möge das nicht tun, Blumen in Vasen hätten dort nichts zu suchen, und schon gar keine Rosen. Dann hatte sie noch die Hand zum Gruß gehoben, denn Marthe war eine gute Seele. Sie verwaltete das Haus mit seinen Geheimnissen, sie sollte immer wissen, wo die Hebamme zu finden war. Heute Nachmittag also würde Marthe Fragenden sagen, man müsse auf ihre Rückkehr von den Gärten vor der Stadt warten, da die Gottschalkin ihre Heilpflanzen gern selbst besorgte.
    Elgin war überrascht, wie heftig ihr Widerwillen war.
    Sie hatte keine Liebe für Lambert. Sie konnte sich hingeben – dem, was sie in aller Stille miteinander taten, es war das einzige Wunder, das sie akzeptierte. Doch wenn er fort war, vergaß sie ihn. In allem – sagte sie sich – war sie wohl mehr ein denkender als ein empfindender Mensch.
    Wenn Lambert ihr Gedichte vorlas, geriet sie in tiefe Ratlosigkeit, und dass er sich für ihr Buch interessierte, erwartete sie nicht. Gleichwohl störte es sie, wenn er versuchte, sie von der Arbeit daran abzuhalten. Es befremdete sie, wenn er in arglosen Bemerkungen zum Ausdruck brachte, wie wenig Bedeutung er dem zumaß, und gleichzeitig ihren Fleiß lobte.
    Er zeigte ihr, dass er nicht verstand, was ihr das Buch bedeutete. Wie zum Beweis dafür, dass er nur einen sehr kleinen Teil von ihr kennen durfte.
    Wie viel mehr dagegen teilte sie mit dem Mann, den sie jetzt zum dritten Mal aufsuchen würde. Adrian Büttner, Kupferstecher

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