Die Hebamme
bereits beim Verlassen der Universität einen Entschluss gefasst hatte, der ihm plötzlich wie das natürliche Ergebnis einer Reihe von Ereignissen vorkam: Homberg, der ihn zu einer Unterredung gebeten hatte, um mehr über den Nutzen des Accouchierhauses zu erfahren; der interessiert schien, ihn zu unterstützen. Dem einleuchtete, dass nur ein Institut mit Mitteln zur Lehre Studenten anzog. Der wusste, dass den Marburger Bürgern sehr an dem Geld gelegen war, das die Studenten in der Stadt auszugeben hatten. Der ihn schließlich in sein Haus eingeladen hatte, samt Gattin, und scherzte, als er hörte, dass es eine solche nicht gab in Kilians Leben.
»Nun frage ich mich langsam, ob es unter Geburtshelfern üblich ist, nicht verheiratet zu sein, und was das für Gründe haben mag?«, hatte Homberg gesagt.
Und so war die Rede auf die Hebamme gekommen.
Der Kollege Heuser letztlich, der ihm den Bericht über die Pariser Gebäranstalt und ihre leitende Hebamme in die Hand drückte. Die Loisin. Kein Zufall. Es war die Aufforderung, auch unbequemen Gedanken zu folgen. Und heute hatte er erfahren, dass die Zeit drängte.
Diese Gottschalkin also verfügte über ein Ansehen in Marburg, das er für sein Institut nutzen wollte.
Der Vollmond hatte einige Schwangere Marburgs in die Wehen gebracht, und Elgin war tagelang kaum in ihrem Haus gewesen. Ihre alte Magd wusste die Zeit zu nutzen: Sie hängte die Fenster aus, schrubbte sie in einem Waschfass mit Brunnenwasser und ließ sie auf den Steinen im Hof trocknen. In den Zimmern polierte sie die Möbel mit warmen wollenen Lappen und gelbem Wachs, bürstete die Schlösser mit Ziegelmehl und scheuerte die Böden mit weißem Sand. Marthe hatte ihre Arbeit in nahezu weiser Voraussicht verrichtet, denn danach setzte Regen ein. Seitdem versanken die Tage in einer dauerhaften Dämmerung, und die Stadt schien hinter der Regenwand in tiefen Schlaf zu fallen.
Wer unterwegs war, der rannte. Die Menschen hasteten aneinander vorbei, ohne dass einer den anderen sah, die Männer mit tief ins Gesicht gezogenen Hüten, die Frauen verhüllt von durchnässten Tüchern. Wie die Lehrtochter der Schneiderin, der es gelungen war, das in Leinwand gewickelte Paket für die Gottschalkin unter ihrem Umschlagtuch beinahe trocken abzuliefern. Marthe hatte das Mädchen am Herdfeuer in der Küche Platz nehmen lassen, ihm heiße Milch zu trinken gegeben und die Kleidungsstücke ausgepackt. Sie hatte sie sorgsam über einen Stuhl gehängt, weil sie damit warten musste, sie im Schrank ihrer Herrin aufzuhängen.
Denn Elgin hatte sich angewöhnt zu schlafen, wenn sie von einer Entbindung nach Hause kam, egal ob es Tag oder Nacht war. War sie wach und niemand ließ sie rufen, dann schrieb sie. Keiner Ordnung folgend legte sie ihre Kapitel an und fügte ein, was sie fortlaufend in zahlreichen Notizen festhielt.
Marthe bemutterte sie, nährte sie mit ihrer einfachen Kost, und zur Nacht brachte sie ihr einen Becher des Melissenweins, den sie einmal im Jahr selbst herstellte und in Sandkisten neben dem Gemüse einkellerte. In Elgins Abwesenheit räumte die alte Magd das Zimmer auf, ohne Bücher und Papiere anzutasten. Dabei bemerkte sie, dass neuerdings ein oben aufliegender Hausschlüssel die beschriebenen Seiten daran hinderte auseinander zu fliegen. Beim Wechseln des Bettzeugs fiel ihr auf, dass es weniger zerwühlt war als manche Male zuvor. Wenn sie die Waschschüssel ihrer Dienstherrin aus dem Fenster auf die Gasse leerte, dann war es Wasser und kein Pflanzensud, wie sie ihn in den vergangenen Monaten zuweilen vorgefunden hatte.
Auch heute schlug der Regen unablässig gegen die Fenster. Nach mehreren Stunden des Schreibens war Elgin von ihrem Tisch aufgestanden und dehnte den steifen Rücken. Ihr Blick verlor sich in den Wasserschlieren an den Scheiben, und prompt stieg in ihr auf, was sie seit Wochen zu verdrängen suchte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Gleichzeitig spürte sie Ärger gegen sich, ihren stummen Rückzug von Lambert.
Unten in der Küche traf sie auf Marthe, die damit beschäftigt war, kleine Gurken einzulegen. Der scharfe Geruch von Weinessig stach Elgin in die Nase, als sie an Marthe vorbei zum Herdfeuer ging.
»Sie stehen Ihnen gut, die neuen Roben«, sagte Marthe und füllte eine Hand voll Nelken in den Mörser.
»Auf jeden Fall sind sie bequem, da hatte die Frau Rat unbedingt Recht.«
»Wird wohl so sein, wenn Sie gleich alle anderen Kleider rausgeworfen haben.«
»Verschenkt,
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