Die Hebamme
gerichtet.
»Wir können nur ahnen, wie viele Frauen ohne Hilfe auskommen müssen. Doch dass wir Ihnen einen wichtigen Teil der Ausbildung schuldig bleiben müssen, ist uns eine bittere Gewissheit.«
Der Professor hatte auf die ihm eigene Weise den Kopf schief gelegt und gelächelt.
»Noch zwei Monde und Ihre Prüfung steht an. Nun denn, schwärmen Sie aus gegen die Ängste der Ahnungslosen. Ich setze volles Vertrauen in Ihre Überzeugungskraft.«
Dann hatte er seinen beiden Schülerinnen ihre zukünftigen Aufgaben eingehend erklärt.
»Tölpel!«, zischte Lotte und wich einem Mann aus, der ein Schwein am Strick mit sich zerrte. »Ich nenne das Erpressung! Kilian mag sie für dumm halten, aber ich finde, sie fürchten sich zu Recht, oder etwa nicht? Nicht einmal wir sind aus freiem Willen in diesem Haus, sondern weil sich ein paar gelehrte Herren ausgedacht haben, dass wir eine Prüfung vor ihnen ablegen müssen. Was sollen wir von denen lernen können, wenn die Frauen nichts von ihnen wissen wollen?«
Lotte packte Gesa beim Ärmel, doch diese weigerte sich, stehen zu bleiben, und zog sie mit sich.
»Renn nicht so und hör mir zu!«
»Komm«, sagte Gesa, »lass uns erst mal die Hühner kaufen. Dann können wir Pauli zurückschicken, und wir sehen weiter.«
»Mach es dir nur recht einfach!«
»Das tu ich nicht.«
»So?«
Ungeachtet des Getümmels verschränkte Lotte die Arme und rührte sich nicht mehr vom Fleck.
»Dann tut es eben jemand anders für dich. Feine Arbeitsteilung. Die Langwasser darf Hühner kaufen, und die Seilerin geht schwangere Frauen sammeln. Was ist da wohl einfacher? Es wird dir aber nichts nutzen, du bist nämlich auch noch dran.«
Sie sahen mit ihren gleichen grauen Schürzen und den weißen Hauben nicht eben aus wie gewöhnliche streitende Marktweiber, auch die Gesellschaft von Pauli, den man als den Hausknecht des Gebärhauses kannte, musste den Leuten auffallen. Es gefiel Gesa überhaupt nicht, dass bereits einige ihre Schritte verlangsamten, um zu hören, was sie so heftig zu bereden hatten. Sie griff nach Lottes Hand und hielt sie fest, trotz ihrer Gegenwehr.
»Das weiß ich doch.« Gesa sprach leise. »Jetzt hör auf zu zetern und komm mit. Erst erledigen wir das eine und dann das andere. Wir.«
Gesa hatte eine Bäuerin mit Federvieh entdeckt, sie steuerte darauf zu und rief nach Pauli. Der Handel über drei Hennen und einen Hahn zog sich in die Länge. Die Bäuerin wollte nicht zulassen, dass Pauli die ausgewählten Vögel in die Körbe packte, solange der Preis nicht ausgehandelt war, und so drückte er sich um die Weidenkäfige herum, bis Gesa schließlich der Frau das Geld in die Hand zählte. Pauli stand daneben und ließ ein paar Steine in seiner Faust klickern. Plötzlich, mit einer ruckartigen Bewegung, schnellte sein Arm nach oben, öffnete sich die Faust und ließ die Steine frei.
Die drei Frauen, alle Umstehenden starrten ihnen nach. Nicht, dass sie in den dichten Wolken verschwanden, aber so mancher wäre später bereit gewesen zu behaupten, die ersten Regentropfen wären wieder gefallen, nachdem der rothaarige Bursche seine Steine wieder eingefangen hatte.
In Wahrheit geschah dies erst eine Weile später. Zuvor hatte er die Hühner mit erstaunlicher Sanftmut in den Körben verstaut, und Gesa hatte Zeit gehabt, ihn zu fragen.
»Das war hübsch, dein Kunststück. Wolltest du, dass ich mich verzähle?«
Pauli verzog das Gesicht, und Gesa dachte, dass es ihm wehtun musste.
»War wegen der Kleinen«, sagte er. Mit dem Kopf deutete er in eine Richtung und setzte sich zur anderen hin in Bewegung.
Das Mädchen mochte fünf Jahre alt sein. Es drängte sich zwischen den Menschen hindurch, die kleine Gestalt war nur noch von hinten zu sehen. Ihr Haar hing strähnig herab. Im Laufen wandte sie sich noch einmal um und erhielt einen Stoß, der sie stolpern ließ. Zwei Eier glitten aus ihren Händen und zerplatzten unter ihrem erschrockenen Blick am Boden.
»Ach, von einer kleinen Eierdiebin hat der Bursche uns also abgelenkt«, sagte Lotte.
Das Mädchen war bereits in der Menge verschwunden, und Lotte wandte sich ab.
»Na, wenigstens hat er ein Herz im Leib. Im Gegensatz zu seinem Dienstherrn.«
»Womit du den Professor meinst.«
»Ganz richtig, mein Täubchen. Dass der Doktor eins hat, kann man ja unschwer sehen, spätestens wenn er in deiner Nähe ist. Du siehst es doch, sag schon, auch wenn du dir alle Mühe gibst, mir was vorzumachen. Du bist nicht gut
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