Die Hebamme
Wasser in einen Becher und reichte ihn Elgin, ohne dass sie danach gefragt hatte. Irgendwo im Haus klapperten Holzschuhe auf einer Treppe. Als Elgin vortrat, um den Becher auf dem Tisch abzustellen, wich das Mädchen zurück.
»Aber Lene, was machst du denn?«, sagte Marietta. »Warum hast du die Gottschalkin nicht gleich zu mir geführt, wie ich es dir aufgetragen habe?« Noch als sie sich an Elgin wandte, war der angespannte Ton aus ihrer Stimme nicht gewichen. »Bitte kommen Sie, ich habe eben noch kalten Traubensaft aus dem Keller geholt, weil es so lange gedauert hat. Aber sicher hatten Sie zu tun. Man kann ja nie wissen, ob eine Wehemutter zu Hause ist. Deshalb habe ich Lene auch gesagt, sie soll warten. Warte, bis du sie zu Gesicht kriegst, hab ich ihr gesagt.«
»Das allerdings hat sie getan«, sagte Elgin. »Ihr ist wahrhaftig kein Vorwurf zu machen.«
»Natürlich nicht«, beeilte sich Marietta zu sagen. »Ich weiß doch, dass Lene ein gutes Mädchen ist.« Kaum hatte sie oben die Zimmertür hinter sich geschlossen, fügte sie hinzu: »Schließlich und endlich habe ich sie deshalb wieder in mein Haus genommen.«
Alles wirkte neu in dem kleinen Raum, auch die weißen Wände sahen aus, als hätten sie soeben erst ihre Farbe erhalten. Ein Krug mit Rittersporn schmückte eine Truhe vor dem Fenster, und auf dem kleinen Tisch, der sich in der Mitte des Raumes etwas verloren ausnahm, standen Schüsseln mit Obst und der Krug Saft. Marietta, die jede Regung Elgins beobachtete, füllte die Becher und trat dann hinter einen der beiden Stühle.
»Früher war das hier die Schlafkammer von meiner Schwiegermutter, Gott hab sie selig. Das Zimmer war lange ungenutzt, ein verstaubter, leerer Ort. Jetzt hat mein Mann mir endlich gestattet, etwas daraus zu machen.«
»Einen kleinen Salon, gewissermaßen.«
Marietta lächelte unsicher.
»Hier ist es ein wenig heller als unten, und ich kann wenigstens mal hinaus auf die Straße schauen, wenn ich Weißwäsche nähe. Bitte setzen Sie sich, Gottschalkin, und nehmen Sie von dem Obst. Bestimmt ist Ihnen schrecklich heiß. Es tut mir Leid, dass es keinen kühleren Platz im Haus gibt, aber …«
Während Marietta sich bemühte, keine Stille aufkommen zu lassen, nippte Elgin an dem Traubensaft.
»Spricht Lene nie?«, fragte sie.
»Was meinen Sie?«, flüsterte Marietta.
»Nun, vielleicht war sie nur mir gegenüber außerordentlich schüchtern. Sie hat keine Silbe hervorgebracht, und ich frage mich, ob das mit meiner Person zu tun hat. Weil ich sie an etwas erinnere, das ihr großen Schmerz zugefügt hat, verstehen Sie?«
Marietta schlug die Hand vor den Mund.
»Nein, um Himmels willen, wie Sie so etwas denken können.«
»Es scheint mir nicht besonders abwegig zu sein, bei dem, was sie durchlitten hat, meinen Sie nicht?«
»Aber doch nicht durch Sie, Gottschalkin. Sie waren nur gut zu ihr, und deshalb dachte ich, vielleicht, wenn Lene Sie wieder sieht, dass es ihr hilft, die Sprache wieder zu finden. Nein, sie spricht nicht, seit sie aus dem Weißen Turm zurück ist, mit niemandem. Aber sie lebt und ist wieder ein wenig zu Kräften gekommen. Ist das nicht die Hauptsache?« Marietta faltete die Hände und löste sie wieder. »Sie spricht zwar nicht, aber ihre Arbeit tut sie so gewissenhaft wie früher, deshalb glaube ich, dass alles sich fügen wird. So wie bei mir.« Sie konnte ihr Strahlen nicht länger zurückhalten, und ihre Aufgeregtheit machte sie noch hübscher. »Ich bin so froh, dass ich Sie damals hab holen lassen, Gottschalkin. Sie haben mir Glück gebracht«, sagte sie. »Endlich, nachdem ich doch schon im vierten Jahr verheiratet bin …«
»Haben Sie Kindsregungen verspürt?«
Sie nickte, und Elgin dachte, dass ihre Freude wie ein dünner Schleier war, hinter dem die Angst darauf wartete hervorzubrechen. Sie kannte dies nur zu gut aus den Gesichtern von Frauen, die lange auf eine Schwangerschaft gewartet hatten.
»Es soll mich freuen, wenn sich Ihr Wunsch erfüllt«, erwiderte sie. »Aber bestimmt war nicht ich es, die etwas dazu beigetragen hat.«
»Sie haben mich zum Brennofen geschickt in jener Nacht«, ereiferte sich Marietta, »das werde ich nie vergessen. Und als meine Zeit kam, blieb das Monatliche aus. Ich glaube fest daran, dass …«
»Es ist ein ganz gewöhnlicher Vorgang, eine Nachgeburt verbrennen oder vergraben zu lassen«, unterbrach Elgin sie ruhig. »Es ist nicht mehr und nicht weniger als das Ende einer Geburt, kein magisches Ritual.
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