Die Hebamme
Es gibt also keinen Grund, mir dankbar zu sein. Danken Sie Gott, sich selbst und Ihrem Mann. Und nun sollten wir tun, wofür Sie mich haben holen lassen. Wo ist Ihre Schlafkammer?«
»Nebenan.« Mariettas Wangen hatten sich gerötet, und über ihrem Mund glitzerten Schweißperlen.
Sie folgte Elgins Anweisungen schweigsam, faltete eine Decke vor der Bettkante, wie ihr aufgetragen war, und legte sich bäuchlings darüber.
»Den Bauch in meine Hand fallen lassen, wie in ein Nest«, sagte Elgin, die dicht hinter sie getreten war. Die linke Hand schob sie unter den flachen Leib, während die Rechte den Weg unter Mariettas Röcke fand.
»Ganz locker soll die Bauchdecke sein, ganz weich, damit ich zufühlen kann. Gut.«
Sie wusste den tiefen Klang ihrer Stimme einzusetzen, und erst als die Frau sich entspannte, ließ Elgin den Zeigefinger langsam in sie gleiten, vorsichtig und weiterredend, bis sie den Uterus erreichte, dessen leicht aufgeworfene Mündung das erste fühlbare Zeichen einer Schwangerschaft war.
»Gut«, sagte Elgin wieder. Dann schwieg sie und hörte auf Mariettas Atem, der unter ihren Händen ruhiger wurde.
Um das Leben des Fötus aufzuspüren, musste sie sich konzentrieren, alle Tastsinne bemühen. Elgin schloss die Augen. Von außen drückte sie mit der Hand gegen den Unterbauch und legte im Innern die Kuppe ihres Zeigefingers an den Uterus. Sobald sich das Organ zwischen der inneren und äußeren Berührung spannte, tippte sie mit der Fingerspitze sanft dagegen. Die Menge des Fruchtwassers in den ersten Schwangerschaftswochen würde den Fötus in der Flüssigkeit hin und her treiben. Nachdem seine Behausung einen leichten Stoß erhalten hatte, würde er in die Höhe gehoben und danach auf den Finger zurückfallen. Elgin benötigte nur zwei Wiederholungen, bis sie – gleich einem Wimpernschlag – seine Berührung spürte.
Das Kind würde kurz nach Anbruch des neuen Jahres zur Welt kommen. In Anbetracht der aufgeregten Fragen, mit denen Marietta die Hebamme bestürmte, gehörte sie zu jenen Frauen, denen dringend eine gelassene Haltung anzuraten war. Sie sollte sich wie immer an der Luft bewegen, nicht etwa im Haus verbleiben, um sich von bösen Blicken fern zu halten. Einen Adlerstein am Schnürband auf der Haut zu tragen, dagegen war nichts einzuwenden, wenn denn der Glaube an seine schützende Kraft sie zuversichtlich stimmen würde. Wenn sie es jetzt schon wollte, so mochte sie ihre Brüste mit Leinöl oder dem feineren von Mandeln einreiben und ebenso ihren Bauch, sobald er sich auszudehnen begann. Gegen ihre Appetitlosigkeit empfahlen sich kräftige Fleischbrühen mit Sauerampfer, Kerbel und Lattich sowie Johannisbeerwasser, von dem sie, über den Tag verteilt, trinken möge.
Bevor Elgin das Haus des Töpfers verließ, wollte sie Lene noch einmal sehen. Während Marietta die andere Magd losschickte und schließlich selbst nach ihr suchte, um der Gottschalkin nur ja diesen Wunsch zu erfüllen, fragte diese sich, was in dem Mädchen bald vorgehen würde.
Was, wenn der Leib ihrer Dienstherrin sich rundete? Und selbst wenn sie das noch ertrug – was, wenn das Kind geboren war? Ein kleiner Junge, wie Marietta hoffte, ein wahrhaftiges Glückskind? Wie eigenartig, dass keiner von Mariettas angstvollen Gedanken in diese Richtung gegangen war. Sie musste ein sehr schlechtes Gewissen haben und das Bedürfnis, etwas an Lene gutzumachen, nachdem sie sie angezeigt und des Kindsmordes verdächtigt hatte. Eine milde Tat für eine schlechte. Die Beschwörung eines Wunders. Aus dem Tod eines Kindes war das Leben eines anderen erwacht. Marietta dachte wohl nur an sich.
Sie konnten Lene nicht finden, also bat Elgin darum, dass man ihr etwas ausrichten sollte. Wann immer ihr der Sinn danach stünde, könnte sie jederzeit zu ihr kommen. Wenn sie nur da sein wollte, sie musste auch gar nicht sprechen. Sie hoffte, dass es sich bald ergeben mochte, hin und wieder mit Lene allein zu sein. Sie zählte darauf, ihr Vertrauen wieder zu gewinnen, selbst wenn sie ihr zunächst nur im Haus des Töpfers wieder begegnete.
Marietta meinte, die Zeit heile alle Wunden. Doch sie täuschten sich beide. Weder das eine noch das andere würde geschehen.
Sie hörte den schnellen Hufschlag hinter sich, das Schnauben eines Pferdes, dem die Zügel angezogen wurden, um es ins Traben verfallen zu lassen. So blieb es eine Weile, während sie unterhalb der Stadt weiter den Pilgrimweg entlanglief, und sie dachte nicht daran,
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