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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cantz Kerstin
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sich nach dem Reiter umzuwenden, der sich ein gutes Stück hinter ihr hielt. Erst als er wieder angaloppierte, trat Elgin auf die Seite, um der Staubwolke auszuweichen, die sie unweigerlich jeden Moment einhüllen würde. Doch das Pferd war schon neben ihr. Ihr Blick erfasste die Stiefel des Reiters im selben Augenblick, wie sie heftigen Schmerz unter den Achseln spürte und in den Rippen, als er sie hochriss. Ihre Füße lösten sich vom Boden, während sie um sich schlug, und es war Lamberts Stimme an ihrem Ohr, die ausstieß: »Hör auf, dich zu wehren. Ich werde dich nicht loslassen.«
    Ihre Tasche flog zu Boden und wurde von den tänzelnden Tritten des Pferdes getroffen, das unter den unruhigen Manövern auf seinem Rücken den Kopf zurückwarf und nach hinten ausbrach. Das Einzige, was Elgin einfiel, war, ihren Hut festzuhalten, als Lambert sie in den Sattel beförderte. Ihr Haarknoten löste sich, und sie schrie nach ihrer Tasche.
    »Sie wird schon zu dir zurückfinden«, sagte Lambert, »und wenn nicht, werd ich dir eine neue beschaffen.« Er trieb sein Pferd an, das nach einem erschrockenen Sprung nach vorn zum Galopp ansetzte.
    Lambert war ein guter Reiter, das festzustellen überraschte sie in ihrer unbändigen Wut. Sein Griff zwang sie dicht an sich, sie spürte die Kontraktionen seiner Muskeln, mit denen er das Pferd dirigierte. Je mehr sie sich versteifte, umso schwerer fiel es ihr, sich schmerzlos im seitlichen Sitz vorn auf dem Sattel zu halten. Als sie endlich nachgab, fiel ihr Körper mit Lamberts gemeinsam in die Bewegung des Pferdes.
    Sie senkte den Kopf, straffte die Hutbänder unter dem Kinn und hoffte, dass die Schute ihr Gesicht vollständig abdecken würde. Doch niemand von den Leuten, an denen vorbei sie aus der Stadt jagten, wäre wohl auf die Idee verfallen, in der Frau auf dem Pferd die Hebamme Gottschalk zu vermuten.
    Da Elgin den Kopf gesenkt hielt – auch als die Stadt längst hinter ihnen lag -, konnte sie die leuchtenden Flächen von Astern und Levkojen in den Gärten nicht sehen, nicht die üppig tragenden Obstbäume und Rosenbüsche. Sie hatte keinen Blick für die Natur, die sich nach dem langen Regen wieder aufgeputzt hatte. Der Duft von Lavendel, Rosmarin und spätem Holunder begleitete sie, bis sie auch die Gärten hinter sich ließen.
    Dann endlich fielen sie in gemäßigten Schritt, und als Elgin es wagte aufzublicken, lenkte Lambert das Pferd in hoch gewachsene Wiesen. Sie durchpflügten sie bis zur Spitze einer schmalen Landzunge, die, von Weiden und weiß schimmernden Pappeln bestanden, in die Wasser der Lahn ragte.
    Sie ohrfeigte ihn, sobald er sie vom Pferd gehoben hatte. Als sie ein zweites Mal ausholte, fing er ihre Hand ab, hielt sie fest und versuchte sie an sich zu ziehen.
    »Was soll das?«, fragte sie so eisig, wie es ihr möglich war. »Das alles ist lächerlich. Wenn du mich mit diesem Ritterspiel beeindrucken wolltest, muss ich dir sagen, dass es dir gründlich misslungen ist.«
    Sie wand ihre Hand aus der seinen und ging davon. Die hüfthohen Gräser machten es ihr schwer. Horden von Bienen tummelten sich darin, nach denen sie nicht zu schlagen wagte. Staub hatte ihr die Kehle ausgedörrt. Schweiß juckte auf ihrer Haut. Außer sich vor Zorn zerrte sie an den Hutbändern.
    Lambert hatte sie mit wenigen Schritten eingeholt.
    »Wenn es mir gelingt, endlich mit dir zu reden, würde mir das fürs Erste genügen«, sagte er. »Bitte.«
    Sie blieb stehen, vertiefte ihre Atemzüge, und schließlich folgte sie Lambert zu den Bäumen, wo er das Pferd grasen ließ. Er band vom Sattel eine Zinnflasche los und gab ihr zu trinken. Ihren Durst zu löschen besänftigte sie etwas. Lambert hatte seinen Rock ausgezogen und warf ihn in der Nähe des Ufers ins Gras.
    »Setz dich«, sagte er. »Selbstverständlich ist auch dies eine Bitte.«
    »Gut, reden wir.«
    »Im Grunde will ich dir vor allem eine Frage stellen. Ich wünsche mir, dass du ehrlich bist, dass du mir nicht länger ausweichst.«
    Wünsch dir das nur, dachte sie, ich werde ehrlich sein.
    »Frag«, sagte sie.
    Er war stehen geblieben, einige Schritte von ihr entfernt, doch nah genug, dass sie zu ihm aufsehen musste.
    »Ich weiß nicht, warum ich nicht früher darauf gekommen bin. Dann schien mir mit einem Mal alles so klar. Ich war so glücklich, dich in der Apotheke zu sehen, dass ich zunächst nichts anderes glauben wollte, als dass du meinetwegen gekommen warst. Und als Stockmann seine inquisitorischen Fragen

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