Die Heidehexe - Historischer Roman
sich daraufhin zu fragen.
Achselzucken. Keiner verstand deutsch, bis auf jenen, den Isabella mit dem Nachttopf getroffen hatte. Eine dicke Beule begann sich auf der Stirn auszubreiten und dementsprechend feindselig radebrechte er: „Du sein Geisel. Toller Christian Lösegeld zahlen. Oder du tot.“
„Mir bleibt nichts erspart“, seufzte das Mädchen und war doch irgendwie erleichtert. Christian würde das Lösegeld zahlen, wie hoch es auch sein mochte. Das wusste sie und atmete tief durch.
Zu früh gefreut. Schwere Schritte polterten die Treppe herunter. Jeder Tropfen Blut wich aus Isabellas Gesicht. Aschfahl starrte sie in das Narbengesicht des Kürassiers Eberhard von Greifsburg.
Er grinste feist. „So schnell sieht man sich wieder. Wer hätte das gedacht, Hexe? Oder sollte ich Gräfin sagen? Belassen wir’s bei Hexe, denn das bist du. Von wegen Lösegeld. Dem Feldherrn Tilly wirst du ausgeliefert. Der weiß, was mit Hexen zu geschehen hat. Ich stehe jetzt in seinen Diensten. Da gib’s anständigen Sold für die Krieger. Habe kein Lö segeld vom tollen Halberstädter nötig. Nein, du bist es, Täubchen, das ich auf dem Scheiterhaufen sehen will. Vorher finde ich nicht Rast noch Ruh. Und jetzt ist es so weit. Schon morgen wirst du brennen. Mein Kriegsherr Tilly hat bereits alles vorbereiten lassen, wartet voll Ungeduld auf die Heidehexe.“
Bevor Isabella eine Erwiderung parat hatte, schwirrte Pavor durch den Keller, und Onkel Luigi stand mit der Muskete im Anschlag hinter dem Kürassier.
„Ich knall euch ab, wenn ihr nicht bei drei verschwunden seid.“
„Er knallt euch ab!“, kreischte Pavor und nahm auf Isabellas Schulter Platz. Die Meute flüchtete. Eberhard von Greifsburg schrie von draußen: „Wir haben uns nicht das letzte Mal gesehen. Ich kriege dich, Hexe!“
„Gut gemacht, Isabella?“, krächzte der Rabe und legte den Kopf schief. Seine Knopfaugen heischten um Anerkennung.
„Ja, Pavor, das hast du gut gemacht. Du bist wunderbar“, seufzte Isabella, die unter Schock stand.
„Der Vogel hat doch tatsächlich den Flug noch einmal auf sich genommen, meine Kutsche gesichtet und die Entführung beobachtet. Ist den Banditen bis hierher gefolgt, kam zurück und hat so lange vor meinem Fenster Rabatz gemacht, bis ich aufwachte und in deinem Zimmer nachsah. Da wusste ich, was die Stunde geschlagen hat. Nur dank Pavors Hilfe konnte ich dich finden“, sagte der Zigeuner und streichelte das Gefieder des Raben.
„Bist ein gescheites Tier“, lobte er und Pavor hüpfte stolz auf Isabellas Schultern herum. Luigi durchtrennte die Fußfesseln mit einem Messer, reichte dem Mädchen die Hand.
„Komm endlich. Hier wimmelt es von Katholiken. Es ist deren Land, das ihr verwüstet habt.“
Vergeblich versuchte Isabella, auf die Beine zu kommen. Es gelang nicht, so sehr sie sich mühte. Da nahm der Onkel sie auf den Arm und marschierte mit Riesenschritten zu seinem Gefährt, setzte sie darin ab und hüllte eine Decke um den bibbernden Körper.
„Hüh hott“, brüllte er und die Pferde zogen an, liefen im Galopp in Richtung Lüneburger Heide. Als sie von der Ruine, die Christians Gefolgschaft, abgefackelt hatte und von der lediglich noch der Keller vorhanden war, weit genug entfernt waren, blickte Luigi zurück. Der Kürassier umzingelte mit einem Bataillon Soldaten das niedergebrannte Gemäuer, hoffte, Onkel und Nichte darin zu entdecken.
„Glück gehabt“, stöhnte Luigi. Isabella hörte es nicht. Sie war vor Erschöpfung eingeschlafen.
28
Welch ein Unterschied zwischen dem ersten, überschwänglichen Empfang, den Isabella im Frühjahr sechzehnhunderteinundzwanzig im Zirkuslager erlebte und der distanzierten, frostigen Begrüßung bei ihrem jetzigen Besuch.
Großmutter ließ sich gar nicht blicken. Die übrige Verwandtschaft behandelte sie wie eine Aussätzige. Karina umarmte sie, aber auch nicht so herzlich wie gewohnt. Die Einzigen, die bei ihrer Ankunft vor Freude wieherten, waren Feuerblut und Herzgestein.
„Was habe ich euch getan, dass ihr mich mit Verachtung straft?“, fragte Isabella ihre Cousine.
„Das bildest du dir nur ein. Es hat sich viel verändert, seit du hier warst. Der Krieg ernährt den Krieg, nimmt der Bevölkerung ihr kärgliches Mahl. Die ganze Menschheit leidet in dieser Zeit. Damals wurden die Schlachten hauptsächlich im Süden ausgetragen, die Heide weitgehend verschont, bis der tolle Halberstädter in das Geschehen eingriff.
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