Die Heidehexe - Historischer Roman
er und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Wir sind schließlich nur einmal jung.
Er verscheuchte die protestantischen Mädchen Paderborns, die ihn anhimmelten, sobald er den Kopf aus der Tür steckte, nicht länger, sondern winkte am Abend drei der Hübschesten herein.
Ihnen die Unschuld zu nehmen, gefiel ihm besser, als die Nächte mit den Huren des Trosses zu verbringen.
Sobald es in den folgenden Tagen dämmerte, trat er vors Haus, suchte sich immer mehr Schönheiten zum Entjungfern aus und vergnügte sich bis in die frühen Morgenstunden daran, die bisher noch Unbefleckten in Geheimnisse der körperlichen Liebe einzuführen.
S chon bald trübte sich sein Sinn, bemerkte er doch nach ein paar Wochen, dass sich die Grafensöhne und Barbara aus dem Wege gingen. Trafen sie zufällig aufeinander, wendeten sie die Köpfe, schritten grußlos aneinander vorüber. Fragte er die Kleine oder einen seiner Freunde, was los sei, senkten sie die Blicke und wechselten spontan das Thema.
Es wurmte ihn, dass keiner sich ihm anvertraute. Deshalb beschloss er, bei einem gemeinsamen Ausflug Licht ins Dunkel zu bringen.
„Was habt ihr für heute geplant?“, fragte er tags darauf am Frühstückstisch betont freundlich in die Runde. Da die Anwesenden die Achseln zuckten, fuhr er fort: „Wie wär’s mit einer Klosterbesichtigung? Ich habe eins ausfindig gemacht. Würde mich brennend dafür interessieren.“
Victor, Alwin und Bernhard gingen sofort auf seinen Vorschlag ein.
„Gute Idee, Christian“, lobte Alwin , „womöglich finden wir dort einige der Rädelsführer, die aus dem Untergrund gegen uns Stimmung machen, und derer wir nicht habhaft werden.“
Victors Überle gungen leuchteten allen ein, und so beschloss man einträchtig, besagtes Gemäuer aufzusuchen.
Das mittelalterliche Kloster mit seinen labyrinthartigen Gängen, den kerkerartigen Zellen, finsteren Grüften und der angrenzenden Kapelle, bot katholischen Westfalen ideale Verstecke vor den Verfolgern, zog Christians protestantische Invasion, die keine Klöster besaß, in ihren Bann.
Viele Gerüchte darüber hatten die Besatzer vernommen. Nun bestand die Möglichkeit, wieder eines von innen zu besichtigen und zu erfahren, ob das vom Hörensagen Weitergetragene der Wahrheit entsprach.
Von adeligen Jungfrauen war die Rede gewesen, die von reichen Verwandten als Nonnen hinter eherne Mauern gesperrt wurden, um dadurch ihren eigenen Seelenfrieden zu erkaufen. Von Liebe und Leid, von Eifersucht und Verrat gemunkelt. Auch über heimliche Schwangerschaften und Kindesmörderinnen . Und über die vielen Tränen.
Wenn die Steine erzählen könnten, dachte Victor, der sich mit Barbara, Bernhard und Alwin an Christian hielt , derweil Siegfried von Neulohe, Ludwig von Ölshausen und der Schwansteiner sich absonderten, angeblich, um die Umgebung zu erkunden.
Barbara meinte , eisige Hände zu verspüren, die nach ihrem Herzen griffen.
„Victor, irgendwie kommt mir diese Kirche wie eine Geisterburg vor. So tot und verlassen. Lasst uns lieber umkehren“, flüsterte sie.
„Jetzt sind wir einmal hier und werden uns die Besichtigung nicht durch dein albernes Gebaren entgehen lassen. Sicher wird uns gleich ein Bewohner der Stadt über den Weg laufen.“
Und wie um die Richtigkeit seiner Worte zu bestätigen, ertönte aus der gegenüberliegenden Scheune das blecherne Scheppern von Melkeimern und Futterkesseln. Sekunden später huschte ein blond bezopftes Mädchen über das Gehöft, den schmalen Körper in einen verschlissenen Leinenkittel gehüllt, die mageren Ärmc hen ungelenk schlenkernd. Bläulich umschattete Augen starrten glanzlos auf die Besucher. Das junge Gesicht so bleich, so leer. Wie ein Gespenst, dachte Victor. Laut sagte er: „Na, mein schönes Kind. Ihr müsst mehr an die frische Luft gehen, seid ja ganz blass um die Nasenspitze.“ Dabei lachte er. Aber sein Lachen klang nicht echt.
Alwin war Victors Benehmen unangenehm. „Entschuldigt bitte. Wir möchten die Klosterkapelle besichtigen. Ob wohl jemand etwas dagegen hat?“
Keine Antwort. Nur ein leichtes Beben der Wangen, linkisch es Achselzucken und fiebriges Aufflackern in den Augen. Sie hat Angst, durchfuhr es Alwin, panische Angst. Verdammt. Wovor fürchtet sie sich dermaßen, dass es ihr die Sprache verschlägt?
Gespannt folgte er dem Blick der Kleinen, der unruhig, ja, verschreckt zwischen Victor und den Freunden hin und her irrte, um schließlich an den ginsterblonden
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