Die Heidehexe - Historischer Roman
schrundig. Graue, runzlige Haut raschelte unter dem schwarzen Talar, gleich knitterndem Pergamentpapier.
„Ihr seid doch nicht dieselbe Person von vorhin“, sagte der Graf argwöhnisch.
„Es wird höchste Zeit “, murmelte die Äbtissin heiser, ohne auf seine Worte einzugehen, und schritt kerzengerade in die Nacht hinaus.
„Halt! Hier geblieben!“, schrie Victor ihr nach und versuchte, sie am Ärmel festzuhalten. Seine Hand griff ins Leere. Später würde er glauben, seine Phantasie habe ihm einen Streich gespielt, hatte doch niemand außer ihm die Verwandlung erlebt, da alle vor Minuten ausgeschwärmt waren, die Vermisste zu orten.
Was nun? Victor begriff, dass er völlig auf sich allein gestellt war, machte sich auf den Weg, die Äbtissin einzuholen. Doch die Dunkelheit hatte sie verschluckt. Also stolperte er in der fremden Umgebung vor sich hin, ohne eine Ahnung, wo er mit der Suche beginnen sollte. Aber klang nicht aus dem Holundergestrüpp bitterliches Schluchzen herüber?
Was, wenn es Barbara war, die da jammerte? Sich verlaufen hatte und in der Finsternis vor den Geräuschen der Nacht fürchtete? Er musste ihr zu Hilfe eilen, taumelte über Wurzeln und Steine dem Wind und dem Regen hinterher. Dass er immer nur im Kreise lief, bemerkte Victor nicht.
Die Turmuhr schlug zwölf Mal, als er ein Stöhnen vernahm. Es kam aus der äußersten Ecke des Kreuzganges. Und was er gewahrte, riss ihm den Boden unter den Füßen weg.
Barbara hockte im Schneidersitz auf dem Kopfsteinpflaster, in der Faust einen blutverschmierten Dolch, starrte mit leerem Blick in weite, unbekannte Fernen und sagte mit Grabesstimme: „Ich bin Barbara von Allensbach, die Äbtissin dieses Klosters.“
Kranzförmig lagen Siegfried von Neulohe, Wilhelm von Schwanwerder und Ludwig von Ölshausen der Länge nach aufgeschlitzt zu ihren Füßen. Ein wahres Blutbad. Mittendrin röchelte das junge Mädchen, das sich als Äbtissin ausgegeben hatte. In ihrem Ge sicht klaffte eine rosenförmig verlaufende Wunde, aus der ebenfalls roter Lebenssaft sprudelte. Ein Anblick des Grauens.
Victo r schrie. Die Lautstärke seines Schreis wurde überboten von Irrsinnsgelächter, das vom Hof gegenüber schallte.
Der Krach lockte Christian, Alwin und Bernhard an. Das Ma ssaker sehen und sich verzweifelt auf die erdolchten Freunde stürzen, war für Christian eins. Er heulte wie ein Schlosshund. Ging Barbara an die Kehle.
„W as hast du getan, du Verruchte?“
Weltentrückt sah sie durch ihn hindurch, gab keine Antwort. Dafür schlug das Mädchen vom Bauernhof in ihrer Nonnenverkleidung die Augen auf, hauchte: „Nichts ist so, wie es scheint“, und fiel in Ohnmacht.
Christian ließ nicht locker, würgte Barbara, deren Haut sich blau verfärbte, während die Augäpfel hervorquollen. Der Dolch entglitt ihren Händen.
„Mach dich nicht unglücklich“, herrschte Alwin ihn an. „Sie hat nichts getan. Musste das Gemetzel mit ansehen. Steht unter Schock.“
„Und der Dolch in ihrer Faust?“
„Den hat der Mörder ihr sicherlich in die Hand gedrückt. Hör endlich auf, die Kleine zu malträtieren.“
Die verwundete Jungfer flüsterte: „Da war ein Reiter mit einer Maske“, um gleich wieder in Bewusstlosigkeit zu versinken, den höllische Schmerzen zu entkommen.
„Der Kürassier Eberhard von Greifsburg. Ich hätte es mir denken müssen, dass wir in eine Falle getappt sind, wie das Mädchen vorhin so bigott andeutete“, brachte Victor mühsam heraus. „Spätestens an dem irren Lachen sollte ihn jeder erkannt haben.“
„ Die Verbrecher hatten den Tod verdient. Aber nicht meine Nichte Gunhilda, die euch an meiner Statt aus dem Kloster vertreiben und Vergeltung für Eure Freveltaten üben wollte. Darum hat sie die Nonnentracht angelegt. Geliebtes Schwesterkind. Das war mit dem Rächer nicht ausgemacht“, hörten sie die schluchzende Stimme im Hintergrund. Äbtissin Barbara von Allensbach eilte mit ihren schwarz gewandeten Nonnen und den Mönchen vom benachbarten Kloster in braunen Kutten herbei, beugte sich zu der Verletzten hinunter, benetzte sie mit ihren Tränen, presste ein dickes weißes Tuch auf die blutende Wunde.
„Ist Kürassier Eberhard von Greifsburg jener Rächer?“, fragte Alwin. Er bekam keine Antwort und glaubte doch an den versteinerten Gesichtern zu erkennen, dass er mit der Nennung des Namens ins Schwarze getroffen hatte.
Acht Mönche stellten sich zu je vier Mann gegenüber, verkanteten die Hände
Weitere Kostenlose Bücher