Die Heidehexe - Historischer Roman
gemeißelte Gesicht. Dunkle Augen, in denen sich ein Hauch von Schwermut mit grenzenloser Abenteuerlust vereinte, ließen jedes Mädchenherz höher schlagen, und seinem sinnlichen, leicht spöttisch verzogenen Mund sah man an, dass er sich aufs Küssen verstand. Dazu die große stattliche Figur. Einen wahrhaft schönen Sohn habe ich vor einundzwanzig Jahren geboren, dachte die Herzogin voll Mutterstolz.
Ähnliches mo chte ihrer Nichte durch den Kopf gegangen sein, die zwischenzeitlich mit ihrer Hofdame und den Kindern an der Tafel Platz genommen hatte, denn sie lächelte der Tante und dem Vetter überaus huldvoll zu.
Nach dem vortrefflichen Mahl konnte die Jagd endlich beginnen. Der Adel versammelte sich im Schlosshof. Knappen führten die Pferde herbei, halfen den Damen galant in den Sattel. Zuletzt ließ ein Treiber die schon ungeduldig jaulende Hundemeute frei. Der Oberjäger blies ins Horn und los ging es in den Wald.
Die Pfalzgräfin bildete das Schlusslicht, in der Absicht, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, die Gesellschaft zu verlassen und in anderer Richtung weiterzureiten, um dem blutigen Spektakel zu entkommen.
Sie hatte nicht mit Christian gerechnet, der, sonst immer vorneweg, nicht von ihrer Seite wich, sie verliebt bewunderte und gänzlich in den Anblick ihrer ebenmäßigen Züge versank. Schwarzbraune Locken wehten um ihre Schultern, während ihre Haut im Morgenlicht alabastergleich schimmerte. Die fein geschwungenen Brauen über mandelförmigen Braunaugen, der kühn geschnittene Mund und die zierliche Nase versetzten den Prinzen in unverhohlenes Entzücken. Er merkte nicht, dass sie längst vom Weg abgekommen waren, achtete nur auf ihre Gestik und Mimik.
Anfangs zögerlich, sich aber mehr und mehr in Rage steigernd, überschlug sich ihre Stimme vor Wut und Verzweiflung. Noch nie hatte sie mit einem Menschen über die Wahl ihres Mannes, dem protestantischen Pfalzgrafen Friedrich V. zum König von Böhmen, aufgrund des Prager Fenstersturzes, und seine schmähliche Absetzung durch Verrat und Trug nach nur einem Winter gesprochen.
Bei Christian aber sprudelte der Bericht über ihr Unglück, das sie still im Herzen verschlossen hielt, wie ein Wasserfall aus Elisabeth heraus. Sie konnte nicht anders, musste sich ihm offenbaren.
Und der Vetter hörte zu, unterbrach nicht ein einziges Mal ihren Redeschwall, ließ sie ihren angestauten Hass auf den katholischen Kaiser Ferdinand, seinen Kriegsherrn Tilly, den spanischen Marquis Generalleutnant Ambrosio Spinola und Friedrichs Vertrauten, den bayrischen Herzog, der sich hinter seinem Rücken mit dem Kaiser verbündet hatte, aus der Seele schleudern.
Die Pfalzgräfin erzählte in ergreifenden Worten von der verlorenen Schlacht am Weißen Berg, ihrer Vertreibung aus Böhmen und der anschließenden Flucht über Schlesien und Brandenburg, wo sie ihr fünftes Kind Moritz am sechsten Januar dieses Jahres in Küstrin zur Welt gebracht hatte. „Wegen des Kindbetts musste ich ausharren, obwohl die dortige Bevölkerung mich und die Kinder mit den unflätigsten Beschimpfungen verunglimpfte, während mein Gemahl bereits in Holland Exil gefunden hat und Vorbereitungen für unsere Ankunft trifft.“
„Warum geht Ihr nicht zurück in die Pfalz? Schließlich ist Euer Gemahl der dortige Kurfürst“, warf Christian ein.
„Nicht mehr lange. Friedrich soll auch dieses Amtes von der Katholischen Liga beraubt werden. Ich schätze, im April wird es so weit sein, denn die Protestantische Union ist im Begriff, sich aufzulösen.“
Wie ein kleines Vögelchen, das die Flügel hängen lässt, kauerte Elisabeth auf ihrem Pferd, ließ die Zügel schleifen und schaute ihn aus großen traurigen Augen an.
Schlagartig überkam ihn wieder der Wunsch, diese engelsgleiche Gestalt in die Arme zu nehmen und ihr vor der feindlichen Welt Schutz zu bieten. Insgeheim nannte er den Pfalzgrafen einen Feigling, der es nicht we rt war, mit einer derart wundervollen Frau verheiratet zu sein. Neid und Eifersucht pflanzten giftige Stacheln in seine Seele.
Aber da war auch jenes andere Gefühl. Süß und verheißungsvoll. Christian sprang von seinem Hengst Albertinus, brachte Elisabeth Pferd zum Stehen, band beide mit dem Zaumzeug an zwei Buchen fest und hob die Base aus dem Sattel. Leicht wie eine Feder lag sie in seinen Armen.
„Würde es Euch etwas ausmachen, mich auf dem Wiesenrain abzusetzen und meiner Lebensbeichte weiter zu lauschen?“ fragte die Pfalzgräfin
Weitere Kostenlose Bücher