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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Geraedts
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finden und befreien. Wir werden alle Menschen befreien und sie vom betäubenden Saft der Kreaturen entgiften. Glaub mir, es dauert nicht mehr lang. Bald werden wir diese Ausgeburten dorthin zurückjagen, woher sie gekommen sind. So wie dein Vater es schon vor Jahren gefordert hat.«
    Judith senkte mutlos den Blick. »Wie sollten die Menschen jemals diese Kreaturen besiegen, vor deren Blick jede Waffe zu Staub zerfällt?«
    Janick schwieg; in Gedanken hörte er die Stimme seines Bruders.
    Es war so gierig nach deinem Geist, dass es außergewöhnlich offen sprach und dabei seinen wunden Punkt verriet, eine noch bedeutsamere Schwachstelle als seine Lichtempfindlichkeit.
    Janick sah ihr tief in die Augen. »Leo sagte, bevor wir gegen die Kreaturen in den Kampf ziehen, müssen wir ihre Achillesferse finden. Mein Bruder hat sie entdeckt.«
    Judith erwiderte seinen Blick wenig hoffnungsvoll. »Er hat ein Gegengift für ihren Speichel entwickelt. Es ist eine große Errungenschaft, ohne die ich nicht mehr am Leben wäre. Aber das Heilmittel wird uns nicht helfen, die Wesen zu vernichten.«
    Janick schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. In den Wochen, die mein Bruder in der Heilanstalt verbracht hat, hat er den wunden Punkt der Kreaturen ausgemacht. Er wollte mir nicht sagen, was es ist. Denn wenn die Biester mich erwischt hätten, als ich zurückging, um dich zu holen, wären sie an meine Erinnerung gelangt und hätten von Thomas Vorhaben erfahren. Er versicherte mir nur, dass wir die Kreaturen mit diesem Wissen zur Hölle jagen würden.«
    »Dein Bruder ist ein außergewöhnlicher Siedler!«, sagte Judith erstaunt.
    Janick lächelte. »Er ist in einer Welt des Schweigens aufgewachsen, in der es verboten ist, über die Außenwelt zu sprechen. Und doch besitzt er den rebellischen Geist eines Nomaden.«
    »Ihr dürft nicht über die Außenwelt reden? Wer untersagt es euch denn?«
    »Die Führerschaft. Die Obersten der Siedlung, die darüber entscheiden, wie die Nahrungsration verteilt wird, wer in welcher Wohnkabine lebt, wer welche Arbeit zu verrichten hat, worüber man spricht und worüber man schweigt … sogar, wer den Kreaturen als Opfer dargebracht wird.«
    Judith presste vor Entsetzen eine Hand vor den Mund. »Wie schrecklich.«
    Janick nickte betreten. »Bis vor etwa zehn Jahren lebten noch viele unter uns, die sich an die Zeit des Lichts erinnerten. Älteste, wie ihr sie nennt. Sie haben die Wahrheit verbreitet, anstatt sie aus Furcht zu verheimlichen. Aber ihre Zahl wurde immer kleiner, bis eines Tages keiner mehr von ihnen übrig war. Jedes Mal, wenn zum Monatsbeginn ein Ältester spurlos verschwand, behauptete die Führerschaft, er sei eines natürlichen Todes gestorben. Aber jeder wusste, dass man ihn in die Finsternis hinausgetrieben hatte.«
    Judith schüttelte bestürzt den Kopf.
    »Das Verbannungsritual wird von der Führerschaft totgeschwiegen, da sie einen Aufstand befürchtet«, fuhr Janick fort. »Die Kreaturen gelten wegen ihrer Verwandlungsmacht als unbezwingbar. Deshalb wollen die Obersten verhindern, dass die Siedler sich gegen sie auflehnen. Sie glauben, dies würde für alle den Tod bedeuten. Aufrührer werden den Wesen als Opfer dargebracht, so wie damals die Ältesten. Im Laufe der Jahre wurden viele in die Dunkelheit hinausgeschickt, die gegen das Leben in Knechtschaft protestiert hatten und für die Freiheit eingetreten waren. Die Führerschaft hat furchtbare Angst vor den Kreaturen und erstickt jede Rebellion gegen sie im Keim. Die Obersten werfen sich vor den Wesen auf die Knie, als wären sie Götter. Die Widerständler halten sie für Teufel, die man zu bekämpfen hat und die keineswegs unbesiegbar sind. Im geheimen Kreis der Aufständischen gilt es schon lange als gesichert, dass sie vor dem Licht zurückschrecken und sich schon durch den Schein einer Taschenlampe in die Flucht schlagen lassen. Aus diesem Grund hätten die Wesen den Himmel verfinstert. Die Führerschaft will davon nichts wissen und schickt die ›Unruhestifter‹ in den Tod. Sie werden es so lange tun, bis nur noch ängstliche Siedler übrig sind, die gehorsam ihre Arbeit verrichten, ohne Fragen zu stellen.«
    Janick machte eine Pause. Dann schmunzelte er plötzlich.
    »Mein Bruder war immer schon ein Freidenker, der nie ein Blatt vor den Mund genommen hat. Thomas war erst sieben, als er begriff, dass die bestehende Ordnung der Siedlung auf einer Unmenschlichkeit beruht, gegen die man sich wehren muss. Mit acht begab er

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