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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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verstand. Halima kam herein und räumte den Tisch ab. Dann bereitete sie mir neben dem Fenster ein Schlaflager. Sie machte genauso viel Aufhebens darum wie jeder gute Gastgeber. Fragte mich sogar, ob ich eine zusätzliche Decke brauchte. Jovans Brauen ruckten hoch, und sein Blick ging zu seinem Bett, also verzichtete ich.
    »Gute Nacht«, sagten die Kinder, als sie in ihr Zimmer schlurften und die Tür geräuschvoll zufallen ließen.
    Danello starrte mich an, rieb sich den Nacken mit einer Hand. So albern es auch war, ich schämte mich noch immer meiner geflickten Knie und meiner ungleichen Socken. Er dagegen schien gar nichts davon zu bemerken; außerdem hatte er auch genug Flicken an seinen Kleidern.
    »Wie hast du herausgefunden, dass du ... du weißt schon, anders bist?«, fragte er.
    Ich zögerte, aber er kannte die Wahrheit schließlich schon. »Das war kurz vor Kriegsende. Ich war zehn, und meine kleine Schwester und ich haben Mama und Großmama geholfen, die Verwundeten im Gildenhaus zu versorgen. Tali ist herumgelaufen, was sie nicht hätte tun sollen, und sie ist über ein Schwert gestürzt. Hat ihr die Wade böse aufgeschlitzt. Ich sah all das Blut, hörte sie weinen. Da habe ich einfach nach ihrem Bein gegriffen. Ich wollte, dass es aufhört, weißt du?« Ich erschauerte. »Ich weiß nicht mal so recht, was ich getan habe, aber plötzlich hat meine Wade wehgetan, und ihr ging es wieder gut.«
    »Du hast sie ohne jede Ausbildung geheilt?« Danellos Augen weiteten sich. »Mit zehn?«
    »Ja. Mama hat immer gedacht, wir wären beide Schmerzlöser - das liegt in der Familie —, aber sie hat geschwiegen. Sie hatte Angst, man würde uns ihr wegnehmen. Mir hat sie immer gesagt: ›Versuch nicht, zu heilen, berühre keine Ältesten, und komm keinem Greifer zu nahe!‹ Ich hatte solche Angst, dass ich etwas falsch gemacht haben könnte, weil ich Tali geheilt hatte, also versuchte ich, ihr den Schmerz zurückzugeben. Und das habe ich auch geschafft.«
    Das hatte Mama viel mehr Angst gemacht als die Tatsache, dass ich geheilt hatte. Ich konnte mich immer noch an das Entsetzen in ihrem Gesicht erinnern, als Tali zu ihr gelaufen war und auf ihre Wade gezeigt hatte, die keinen Kratzer hatte. Aber Tali weinte und sagte, sie täte so komisch weh. Mama packte mich an den Schultern und sagte, ich dürfe das nie, nie wieder tun. Dann nahm sie mich so fest in die Arme, dass ich kaum noch atmen konnte, und verlangte von mir, zu der Heiligen Saea zu schwören, dass ich nie jemandem erzähle, wozu ich fähig bin.
    Bis heute Abend hatte ich das auch nie getan. Nur Tali hatte es gewusst.
    »War sie ... ?«
    »Ich bin wirklich müde«, sagte ich. Reden würde so oder so nichts ändern, wozu also alten Kummer wieder ans Licht zerren?
    »Tut mir leid. Ich schätze, ich sollte dich dann besser schlafen lassen.«
    Ich schüttelte mein Kissen auf und kämpfte gegen den Wunsch an, ihn anzusehen. Was schwerer war als erwartet. »Gute Nacht, Danello.«
    »Gute Nacht, Nya.«
    Und wieder fiel eine Tür geräuschvoll ins Schloss. Die zum Zimmer seines Paps. Ich ergab mich der Nachgiebigkeit des provisorischen Betts, den Kopf voller Schuldgefühle, aber zugleich erleichtert, schlafen zu dürfen, und genoss den verbliebenen Essensgeruch und die Wärme des Ofens und das leise Murmeln überdrehter Jungs, die sich alle Mühe gaben, nicht zu schlafen, obwohl Schlaf ihren Schmerz gelindert hätte. Ein knapper und nicht ganz so leiser Befehl von Halima brachte beide zum Schweigen. Trotz der Melancholie musste ich grinsen. Sie nahm ihre neue Rolle sehr ernst. Ich hatte ganz vergessen, wie gut sich Familienleben anfühlte.
    Trotz meiner Müdigkeit fand ich keinen Schlaf. Schließlich setzte ich mich auf und lehnte den Kopf an das Fenster. Mondschein tauchte die Marktecke in ein gedämpftes Silber. Dunkle Schatten bildeten Muster auf dem Steinboden, noch dunkler an der Stelle, an der die beiden, die ich vor einer Weile gesehen hatte, im Gebüsch schliefen. Das war ein guter Platz, geschützt vor dem Seewind und außergewöhnlich warm.
    Ein hüpfender Lichtschein erregte meine Aufmerksamkeit - Licht aus der sanft hin und her schwingenden Laterne der nächtlichen Patrouille. Neben dem Gebüsch blieben die Soldaten stehen und traten das schlafende Paar, jagten es in die Flucht. Aber die Patrouille folgte ihm nicht, wie es die meisten taten, sondern setzte lediglich ihren Weg fort, passierte einen Mann, der sich keine Sorgen darüber zu machen schien, des

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