Die Heilerin - Roman
nehmen. Wenn wir ihn unter uns aufteilten, würde es nicht so schlimm werden. Sicher, wir hätten einen harten Rückweg zur Gilde, aber wir konnten es schaffen.
Älteste und Mündel und in Seide gekleidete Greifer hielten Einzug in mein Gedächtnis. War es überhaupt sicher, zur Gilde zu gehen ? Ich hob eine Ecke des Vorhangs an und lugte hinaus. Keine Spur von meinen Seidenmännern, aber vermutlich waren sie dort draußen und vermehrten sich wie die Kaninchen. Bis Sonnenuntergang würden, dessen war ich sicher, vier von ihnen hinter mir her sein.
Mein Magen knurrte, und ich ging zur Küche, um nach übrig gebliebenen Fischfrikadellen Ausschau zu halten. Es sah aus, als hätte Danellos Familie genug zu essen und würde ein oder zwei davon verschmerzen können. Ich hatte gehört, die Schulhäuser in dieser Gegend würden ihren Schülern sogar ein Mittagessen auftischen. Ein Bündel lag mitten auf dem Tisch, ein zusammengeschlagenes Tuch mit einem Zettel obendrauf. Die bedächtige Kinderschrift, bei der die Enden der Buchstaben verdickt waren, weil die Feder zu lange an einer Stelle geruht hatte, entlockte mir ein Lächeln.
Nya, hier ist dein Frühstück.
Ich hoffe, es schmeckt dir.
In dem Bündel wartete ein Festessen auf mich: zwei weitere Fischfrikadellen, drei Birnen und eine Banane. Den Fisch aß ich sofort, das Obst stopfte ich mir für das Mittag- und Abendessen in die Taschen. Eine Birne würde ich mir fürs nächste Frühstück aufsparen. Für alle Fälle.
Ein Funkeln in dem Stoff erregte meine Aufmerksamkeit. Drei Kupfermünzen lagen ganz unten, als hätte jemand sie vor mir verstecken wollen. Ich musterte die geschlossene Tür. Vielleicht erwartete Danello, dass ich mir einfach das Bündel schnappen und gehen würde, sodass ich die Münzen erst später gefunden hätte.
Essen und Bett waren mir Lohn genug. Ich hatte nicht viel getan und dabei auch noch der ganzen Familie Schmerz auferlegt. Trotzdem ...
Ich ergriff eine der Münzen und strich mit dem Daumen über den eingeprägten Löwen auf einer Seite. Ein Geveger Deni, kein Oppa aus Baseer. In den ärmeren Bezirken konnte man mit Geveger Geld mehr kaufen als mit dem aus Baseer, ein Ausdruck der Verachtung gegenüber dem Herzog. Ob es reichen würde, mein Zimmer zurückzukriegen? Oder sonst eine Unterkunft zu bekommen? Ich würde das Zimmer auch mit jemandem teilen, wenn ich musste; am besten mit jemandem, der nachts arbeitete, sodass wir uns beim Schlafen abwechseln konnten. Ich steckte das Geld ein und setzte »direkt zu Millie gehen und sehen, was ich erreichen kann« auf meine Liste der lästigen Pflichten.
Wieder sah ich mich nach Danellos Tür um. Es war nur höflich, auf Wiedersehen zu sagen, aber meine Füße wollten den ersten Schritt nicht tun. Er wusste, dass ich hier war, und wenn er sich verabschieden wollte, dann wäre er hier gewesen, als ich erwachte. Meine Hand glitt in meine Tasche und rieb noch einmal die Münzen. Warum sollte er mich überhaupt sehen wollen? Ich war nur eine bezahlte Gehilfin, und ich war für meine Dienste entlohnt worden. Es war Zeit zu gehen.
Meine Muskeln kämpften bei jedem Schritt treppabwärts gegen mich an, brannten, als wäre ich dreimal über alle Inseln gerannt. Die Vorstellung, eine Münze für eine Bootsfahrt zur Gilde zu nutzen, war verlockend, aber so leicht kam man nicht zu Geld, und der Gondoliere würde so oder so keine Deni nehmen. Wund oder nicht, ich hatte kräftige Beine und Füße, die mich tragen konnten.
Im Hauseingang hielt ich inne und musterte jede Person, jedes Gebüsch, jedes Versteck in Sichtweite. Keine Seidenmänner. Ich kroch hinaus und tauchte, soweit es mir möglich war, in der Menge unter. Die Sonne bahnte sich mühsam einen Weg durch den verhangenen Himmel, Licht, so grau wie die Schieferplatten, die den Vorraum der Gilde säumten. Ich überprüfte weiterhin jede Ecke und jedes Gestrüpp, aber sollten die Seidenmänner in der Nähe sein, so wussten sie sich gut zu verstecken; keine Spur von Grün oder Gelb in der ganzen Umgebung. Würden sie heute auf mich zukommen, oder würden sie weiter lauern wie ein paar hungrige Krokodile ?
Vor der Brücke zum Gildenhaus auf der Westseite des Großen Kanals hielt ich inne. Sollten die Seidenmänner von der Gilde gekommen sein, war der Versuch hineinzugehen genauso närrisch wie die Vorstellung, Geld für eine Gondel auszugeben. Es war sicherer, Tali eine Botschaft zukommen zu lassen und mich an irgendeinem Ort mit ihr zu
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