Die Heilerin - Roman
sie sie umgebracht haben?«, fragte ich, wenngleich ich es nicht glauben wollte.
Aylin schlang die Arme um den Oberkörper, rieb sich nervös die Oberarme. »Ich glaube, imstande dazu wären sie, aber der Aufwand ...« Sie schüttelte den Kopf. »Wäre es nicht viel einfacher für sie, mehr Pynvium zu beschaffen, statt so viele Leute umzubringen? Wo wollen sie überhaupt die ganzen Leichen unterbringen?«
Soek nickte. »Sie hat recht, es hätte mehr als eine Stunde gedauert, um das alles zu schaffen. So viel Zeit hatten sie nicht.«
Danello stupste mich an und zeigte auf die Straße, vorbei an der wachsenden Menschenmenge. »Die Soldaten rücken an.«
Die Soldaten des Generalgouverneurs bahnten sich ihren Weg durch die Masse, und ihre blauen Uniformen wirkten schmuck und strahlend an einem Tag, der das alles nicht war. Wie viele von ihnen erinnerten sich an die Aufstände während des zweiten Jahres der Besatzung, als wir versucht hatten, zu rebellieren, versucht hatten, unsere Unabhängigkeit zurückzugewinnen, trotz der Soldaten, die unsere Straßen beherrschten? Die Zeit, als wir versucht hatten, den Generalgouverneur umzubringen.
»Das wird übel«, sagte Aylin. An ihrem Gesichtsausdruck war abzulesen, dass sie sich ebenso wie ich an diese Aufstände erinnerte. Und an die Schiffe voller neuer Soldaten, die der Herzog geschickt hatte, um sie niederzuschlagen. »Wir gehen besser zu mir.«
»Ja, machen wir, dass wir wegkommen.«
Ich klammerte mich fest an Talis Hand, als wir weiterhasteten, und fragte mich, wie lange es dauern würde, bis der Herzog wieder Soldaten schicken würde, um uns zu unterwerfen. Und ob einer von uns überleben würde.
Aylin gab mir ihr letztes Kleid, und ich ging zum Waschraum und entledigte mich der schmutzigen und zerrissenen Uniform. Als ich zurückkam, saßen Danello und Soek rechts und links neben der Tür und Tali am Fenster. Zu fünft hatten wir hier drin kaum genug Platz, uns zu rühren.
»Wie sieht es draußen aus?«, fragte ich Tali. Sie sah vom Fenster aus zu, wie Aylin unsere Schnittwunden und Kratzer mit einer süß riechenden Salbe behandelte. Aylin wirkte dabei in Anbetracht der vielen Heiler im Raum etwas verlegen, aber das schien niemanden zu kümmern.
Tali drehte sich um und schaute zum Fenster hinaus. »Der Rauch in der Umgebung der Gilde wird dichter. Ich glaube, auf einem der Marktplätze brennt es. Draußen rennen Leute und Soldaten vorbei, aber niemand bleibt stehen.« Sie strich sich eine feuchte Locke aus dem Gesicht. »Ich schätze, hier gibt es nichts, was sich zu plündern lohnt.«
»Das wird sich ändern«, murmelte Soek.
»Kannst du meine Nachbarschaft erkennen?«, fragte Danello, der neben mir auf dem Boden saß. »Ist dort auch Rauch zu sehen?«
Tali lehnte sich einige Sekunden lang weit hinaus, ehe sie den Kopf wieder einzog. »Nein, ich glaube nicht. Es sieht aus, als würde es bisher nur in den Baseeri-Vierteln brennen. Und auf dem Gelände der Gilde.«
»Ich bin sicher, deinen Geschwistern geht es gut«, sagte ich zu Danello und legte ihm die Hand auf die Schulter. Jovan war ein kluger Junge, er würde schon dafür sorgen, dass alle in sicherer Deckung blieben, bis ihr Vater nach Hause käme.
Er nickte geistesabwesend, sah aber immer noch besorgt aus. Was ich ihm nicht zum Vorwurf machen konnte. Wäre Tali nicht bei mir, dann wäre ich da draußen, um sie zu suchen. Danello hingegen war klug genug, sein Leben nicht einfach so aufs Spiel zu setzen. Er war älter und erinnerte sich vermutlich noch deutlicher als ich an die Aufstände. Die Soldaten hatten nicht nur die getötet, die Ärger gemacht hatten.
»Es geht wieder los, nicht wahr?«, wisperte Aylin.
»Nein, dieses Mal ist es anders«, widersprach ich.
»Nur politisch betrachtet. Wir sind wieder auf den Barrikaden, und ihr wisst, wie so etwas immer endet. Erst die Aufstände, dann die öffentlichen Anklagen gegen den Herzog. Die Leute geben ihm schon jetzt die Schuld, und bald werden sie sich gegen den Generalgouverneur wenden. Die ganzen Soldaten sind noch in Verlatta. Wie lange wird es dauern, bis der Herzog einige hierher schickt ?«
»Vielleicht kann der Generalgouverneur die Leute beruhigen.« Doch noch während ich die Worte aussprach, begann ich daran zu zweifeln. Soldaten machten alles immer nur schlimmer. Blaue Uniformen hatten in Geveg schon zu viel Hass entfacht.
»Das glaube ich nicht«, sagte Tali und winkte uns ans Fenster. Wir drängten uns um sie herum und
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