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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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vor Recht ergehen lassen. Pack deine Sachen und verschwinde aus meines Vaters Haus. Auch dein Weib ist aus unserem Dienst entlassen.«
    Der alte Mann faltete die Hände und rang sie. Aus seiner Kehle kamen unverständliche Laute.
    »Bitte, Nicolaus, es ist meine Schuld! Verzeih mir!«
    »Dir ja, aber ihm nicht. Heinrich!«
    »Sofort, Herr, sofort.« Heinrich zog sich mit einer Verbeugung in den Garten zurück, aus dem, wie Taleke gesehen hatte, eine kleine Pforte in die Seitengasse führte.
    Erschrocken vor allem über Nicolaus’ Jähzorn, schob Taleke ihren Arm unter seinen und strich ihm beschwichtigend über die Hand. Wahrscheinlich würde er sich bald beruhigen, und dann wäre alles wieder gut. Dann zog sie ihn in die Ess-, Schlaf- und Wohnkammer. »Hast du den Freunden deine Pläne unterbreitet?«
    Puttfarckens missmutiges Gesicht hellte sich auf. »Ja, es ist alles festgelegt. Morgen besuche ich mit der Familie die Messe, und am Montagmorgen geht es los.«
    Taleke unterbrach ihn. »Wie kannst du denn am einen Tag wie ein gehorsamer Sohn zum Gottesdienst gehen und deinen Leuten am anderen einen üblen Streich spielen?«
    »Das sind zweierlei Dinge. Was meinst du wohl, was passierte, wenn meinem Vater zu Ohren käme, dass ich ihm Schande mache?«
    »Mit Schande meinst du, dass du nicht in die Messe gehst?«
    »Ja, sicher! Ich bin nicht in allem der Sohn, den er sich gewünscht hat, aber was meine Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus und Mutter Maria betrifft, habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich bin immerhin frommer als mein kleiner Bruder Grube, der sich öfter an Huren als an Gebeten übt.«
    »Hm.« Taleke hingegen musste öfter ihre Angst vor dem Höllenfeuer beschwichtigen. Viel zu selten besuchte sie eine Messe, um als fromm zu gelten.
    »Wir Ratsherren gehen gemeinsam«, ergänzte Nicolaus stolz. »Ratsherren sind eine einzige große Familie.«
    »Wie kannst du dann deinen Scherz mit ihnen treiben?«, fragte Taleke verwirrt.
    »Das verstehst du nicht.« Nicolaus schnaubte verächtlich. »Das muss man mit der Muttermilch aufgesogen haben.«
    Er ließ sie nie vergessen, wer sie war. Taleke beschloss, in den wenigen Tagen, die ihr verblieben, ganz vorsichtig zu sein, was immer sie sagte oder tat.
    »Mein Vater ist Montagmorgen ab sieben Uhr in der Ratsversammlung, sein Gehilfe kommt erst später ins Geschäft. Dazwischen ist genügend Zeit, um die Felle aus der Tonne zu holen.«
    »Aber das ist kein Mundraub, sondern Diebstahl …« Schon wieder ging ihre Zunge mit ihr durch. Was ging es schließlich sie an? Und gestohlene Felle bedeuteten einem Ratsherrn wahrscheinlich nicht mehr als ihr ein stibitzter Strick.
    »Wenn Vater heute Nacht stürbe, gehörten sie ohnehin mir. Ich bin der älteste Sohn.«
    »Ja, daran habe ich nicht gedacht.«
    »Eben. Ich bringe sie dir mitsamt Schnur und Ahle. Du hast bis zum Abend Zeit, den Kragen fertig zu machen. Dann hole ich ihn. Drei von meinen Freunden und ich hängen dem Kaak das Schmuckstück um. Alles ganz einfach.«
    »Ja.« Irgendwie war Taleke mulmig zumute.
    Puttfarcken grinste voller Vorfreude. »Weißt du was? Wir werden dem Weib des Brauers, das da immer noch am Kaak angekettet ist, eine Heidenangst einjagen, auch das wird ein Spaß! Wir kommen in stockdunkler Nacht und sprechen kein Wort. Sie wird nicht einmal ahnen, wer sie befreit. Nur der Bischof und die Domherren werden sofort wissen, wer es war: Satan, der immer häufiger sein teuflisches Spiel in Lübeck treibt. Sie werden den Kaufleuten in den Predigten Bußen verordnen. Da wäre ich gern dabei.«
    Taleke schauderte es. Vornehme junge Männer, die das Recht allezeit auf ihrer Seite wussten, waren nicht in der Lage, sich vorzustellen, wie es auf der anderen Seite der Gesellschaft aussah. Über ein solches Erlebnis konnten schreckhafte Menschen den Verstand verlieren. Nicolaus war nicht nur jähzornig, ihm waren andere Menschen auch völlig gleichgültig. Womöglich entging Heinrich dem Kaak nur, weil es Nicolaus gefiel, vor ihr Großzügigkeit zur Schau zu stellen. Die passte zu einem Patriziersohn besser als kleinlicher Geiz.
     
    Am übernächsten Tag klappte alles wie am Schnürchen. Taleke reihte Fell auf Fell auf die Schnur, es wurde ein wunderbar dichter Kragen, bei dem Eichhörnchenkopf an Eichhörnchenkopf lag und die buschigen Schwänze in braunen, schwarzen oder grauen Bahnen frei herabhingen. Taleke hätte ihn am liebsten selbst behalten.
    Am frühen Abend kam Nicolaus zurück, schaute kurz

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