Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
wiedergefunden. Entschuldigend stotterte sie: »Ich ... ich ... weiß nicht. Schreit die ganze Zeit. Ich ... ich ... hab ihr doch nichts getan.«
Fuchtig drehte sich Agnes um: »Dann sagt endlich, was geschehen ist!«
»Ich ging zu ... äh ... Maria. Ich fragte sie, ob sie was zu essen haben wollte. Sie kam ... kam dann mit hier runter. Sie sagte erst nix. Sie war ganz still. Dann erzählte ich vom Kloster. Wie ich Nonne geworden bin. Dann plötzlich ... da ... da fing sie an zu schreien. Ich weiß nicht wieso.«
»Was habt ihr gesagt?«
Die Nonne begann zu weinen. Mit ihrer Schürze wischte sie sich das Gesicht ab. »Ich weiß es doch nicht mehr«, antwortete sie unter Schluchzen.
»Erinnert euch!« Agnes musste sich eisern beherrschen, um die Schwester nicht kräftig durchzuschütteln.
»Ich ... ich ... zeigte ihr, was ich kochte. Da ... da ... da starrte sie ins ... ins Feuer. Und plötzlich schrie sie ganz fürchterlich. Lief da inne Ecke. Und dann ... dann ... kamt ihr auch schon. Mehr war nicht. Ich schwör’s. Bei allen Heiligen.«
Agnes schaute auf den Herd. Hohe Flammen loderten darin und erhitzten einen großen Topf mit Suppe. Flammen. Maria kreischte auch etwas von »Flammen«. Das war also der Grund für ihren Ausbruch!
»Was ist hier los?«
Wer störte denn jetzt? Die junge Nonne wirbelte herum. In der Tür standen die Äbtissin mit grimmig erhobenem Haupt und dahinter die hämisch grinsende Priorin, die schon wieder mit ihrer Rute herumfuchtelte. Genau die beiden hatten noch gefehlt.
Ehe Agnes etwas sagen konnte, platzte die Küchenschwester los: »Die da!«, dabei zeigte sie auf Maria, »die hat den Verstand verloren!«
Greta von Hattelen nickte. »Die braucht nur mal richtige Zucht. Sie weiß sich halt nicht zu benehmen. Zur Strafe bekommt sie für heute kein Essen mehr und zehn Hiebe. Dann hat sie einen Grund zum Schreien.«
Margarete Rennemann rieb sich die Hände und drängte ihren massigen Körper an der Äbtissin vorbei. Doch ehe sie ausholen und zuschlagen konnte, stellte sich ihr Agnes in den Weg.
»Wagt es nicht!«, zischte sie. Kampfbereit hatte sie ihre Fäuste in die Seiten gestemmt und funkelte ihre Gegnerin gefährlich an.
Die Priorin prallte zurück und fasste sich an die roten Striemen im Gesicht. Der Schock von gestern wirkte noch.
Die Äbtissin fuhr wütend dazwischen. Energisch schob sie Schwester Margarete zur Seite: »Agnes, willst du dich schon wieder auflehnen?«
Doch Agnes war jetzt so richtig in Fahrt. Drohend hob sie ihren Finger. »Ich warne euch. Ihr überschreitet eure Befugnisse.«
»Wie kannst du es wagen ...«
»Seid endlich still!«, schrie die junge Nonne ihre Vorsteherin an. »Sollen wir erst wieder den Domdekan holen?«
Die Äbtissin stand mit offenem Mund mitten in der Küche und bekam außer einem heiseren Röcheln keinen Ton mehr heraus. Ihre Arme hingen schlaff herunter, als wären sie abgestorben. Greta von Hattelen wurde blasser und blasser und starrte Agnes mit großen Augen an. Die Äbtissin sah aus, als hätte sie der Schlag getroffen, als würde sie jeden Augenblick umkippen.
»So!« Endlich konnte sich die Scholasterin wieder an die Küchenschwester wenden: »Wart ihr gerade am Feuer, als Maria anfing zu schreien?«
Die Nonne musste sich erst noch von der ungeheuerlichen Szene, die sie soeben miterlebt hatte, erholen. Erst nach der zweiten Aufforderung stammelte sie: »Holz ... Holz ... Ich habe Holz nachgelegt. Dann mit dem ... Dings da ... dem Schürhaken durchgewühlt. Ja ... äh ... damit die Suppe schneller kocht.«
»Und die Flammen schlugen sehr hoch?«
»Nun ... ja ... Nicht mehr als sonst.«
»Höher als jetzt?«
Sie nickte.
»Das war der Auslöser«, stellte Agnes fest. »Im Leben Marias ist etwas so Schlimmes passiert, dass sie beim Anblick der Flammen den Verstand verliert. Deckt sofort die Flammen ab.«
Die Nonne eilte zur Feuerstelle und schüttete Asche auf das Feuer, sodass es fast erstickte. Dicker, beißender Qualm erfüllte die Küche.
Agnes näherte sich wieder Maria, die noch immer schrie und gegen die Wand schlug. »Maria, schaut doch. Die Flammen sind weg. Ihr müsst keine Angst mehr haben. Wir haben die Gefahr gebannt.«
Die junge Frau blickte vorsichtig über die Schulter. Ihre Schreie wurden leiser und ihre Schläge müder. Langsam drehte sie sich ganz um und hörte auf zu schreien.
Plötzlich verdrehte sie die Augen und sackte in sich zusammen. Agnes konnte sie gerade noch auffangen, sonst wäre ihr
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