Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
der sommerlichen Hitze. Ihre Hände zitterten vor Aufregung. Sie versteckte sie unter dem Tisch, damit keiner es bemerkte. Agnes füllte ihren Becher abermals mit Wein.
Barthold von Ecksten bemerkte dies und fragte ganz erstaunt. »Was ist mit dir los, liebe Nichte? Dein dritter Becher Wein? Sonst verweigerst du schon immer den zweiten.«
Sie blickte in die Runde. Die drei Männer warteten neugierig auf eine Antwort. Agnes atmete tief durch und nahm noch schnell einen kräftigen Schluck.
»Ich habe euch etwas zu sagen.«
Ludolf war überrascht und fragte: »Was denn?«
Sie schloss die Augen und sagte dann mit bebender Stimme: »Ich werde bald heiraten.«
Ein Löffel fiel polternd zu Boden. Ludolf hatte nicht gemerkt, wie seine Hände plötzlich schlaff geworden waren. Schnaufend entwich die Luft seinem Brustkorb. Er starrte auf seinen Teller und konnte nicht glauben, was er da gehört hatte. Sie wollte heiraten? Warum? Wen? Sie hatte es ihm doch versprochen! Musste sie das gerade jetzt sagen? Warum hatte sie nicht gewartet, bis der Auftrag erledigt war und sie wieder getrennte Wege gingen?
Agnes fuhr fort: »Ich hatte doch erzählt, dass jemand bei meinen Eltern vorgesprochen hatte.«
Ludolf nickte nur matt. Er hatte noch gehofft, dass sie ihm damit nur eins hatte auswischen wollen, weil sie sich über ihn geärgert hatte. Aber offensichtlich steckte doch mehr dahinter. Sie würde heiraten. Seine Agnes! Seine über alles geliebte Agnes! Diese Hexe! Dieses treulose Biest!
»Heute Nachmittag habe ich mich entschlossen, Ja zu sagen. Ich habe den Vater meines Zukünftigen aufgesucht und zugesagt.«
Endlich bekam Ludolf wieder Worte heraus. Stotternd fragte er: »U... u... und dein Gelübde?«
»Ich werde beim Bischof um die Aufhebung bitten.«
»Das hätt... hättest du doch schon vor zwei Jahren haben können. Seitdem hast du es immer abgelehnt.«
Nervös zupfte sie am Zipfel ihrer Haube. »Seit ich hier in Rinteln bin, denke ich über manches anders.«
Er konnte es immer noch nicht fassen. »So ... so plötzlich?«
»Nein. Ich habe es mir reiflich überlegt.«
In seinem Kopf drehte sich alles. Der pochende Schmerz hinter seiner Stirn entwickelte sich binnen Kurzem zu einem Hämmern und Dröhnen. Entnervt stellte er die Ellenbogen auf den Tisch und legte seinen Kopf in die Hände.
Agnes begann ihre Haube abzunehmen. Sie betrachtete es als Zeichen, dass sie bald auch den Rest der Nonnentracht ablegen würde. Den beiden älteren Männern entschlüpfte ein Ausruf der Überraschung. Agnes’ Haare waren sehr kurz geschnitten, hatten gerade einmal Fingerbreite.
Ludolf schaute auf und war ebenso erstaunt: »Was ist aus deinen schönen langen Haaren geworden?«
Sie nagte verlegen an ihrer Unterlippe. Jetzt würde sie alles erzählen müssen. »Als ich zum dritten Mal gegen das auferlegte Schweigen verstoßen habe, wurde ich kahl geschoren.«
»Schade«, entschlüpfte es dem jungen Mann.
»Inzwischen sind sie zum Glück wieder etwas gewachsen. Bis zur Hochzeit werden sie leider nicht viel länger sein. Aber da werde ich ja sowieso eine Haube tragen. In einem Jahr sind sie wieder lang.«
»Hatte das Scheren die Äbtissin angeordnet?«
»Ja«, antwortete sie leise.
Ludolf stocherte lustlos im Essen. Ihm war schwindelig, er konnte kaum atmen, und sein Magen rumorte. Es würde ihn nicht wundern, wenn er gleich das gute Essen wieder ausspeien müsste. Er war so enttäuscht, fühlte sich verraten und hintergangen. Am liebsten hätte er ihr die Meinung gesagt. Aber wozu würde das führen? Wie üblich nur zu Zank und Streit. Sie passten einfach nicht zueinander. Aber was hatte der andere Bursche, was er nicht hatte? War er reicher? Besser aussehend? Wahrscheinlich war es ein hässlicher, alter Knacker, den sie nach Belieben hin und her schubsen konnte und der den Boden unter ihr küsste, weil er noch eine junge, hübsche Frau abbekommen hatte. Herzlichen Glückwunsch!
Agnes weckte Ludolf aus seinen Fantasien: »Ich warte auf die Frage von dir.«
»Hä? Was für eine Frage?« Er wollte ihr gerade einen Vogel zeigen. Aber ihm war dieses Gequatsche ganz egal. So ließ er seine Hand wieder sinken und starrte auf die Reste des Bratens.
»Du hast da eine ganz bestimmte Frage im Kopf. Das sehe ich dir doch an.«
Sein Schädel dröhnte, er konnte kaum noch denken. »Ich will nicht mehr darüber reden. Es geht mich nichts mehr an.«
Agnes kniff die Augen zusammen. »Bist du jetzt wieder bockig?«
»Was geht dich
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