Die heilige Ketzerin: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Kopf gegen die Wand geschlagen. Sofort waren einige Nonnen zur Stelle, die sie aufhoben und in ihre Kammer trugen. Die im Weg stehende Äbtissin wurde einfach zur Seite geschoben, ebenso die Priorin.
Maria wurde auf ihr Bett gelegt und erhielt feuchte Umschläge. Nach einiger Zeit kam sie wieder zu sich. Doch trotz aller Bemühungen und guter Worte blieb ihr Blick leer, als wäre sie weit, sehr weit weg. Nach einiger Zeit schlief die junge Frau wieder ein. Agnes übernahm als Erste die Krankenwache und setzte sich auf die Bettkante. Die Mitschwestern verließen den Raum und kümmerten sich wieder um ihre eigentlichen Arbeiten.
Agnes blickte voll Mitleid auf die junge Frau, strich ihr sanft die feuchten Haare aus dem Gesicht. Was war mit Maria geschehen? Warum erschreckten Flammen sie so sehr? War sie in der Küche das erste Mal missbraucht worden? Oder war das Feuer nur eine Erinnerung an etwas anderes? Aber an was?
Doch schon bald drehten sich Agnes’ Gedanken um ein ganz anderes Thema. Warum war sie vorhin aus der Rolle gefallen? Wieso hatte sie die Äbtissin angeschrien? Warum war sie plötzlich so respektlos gegenüber ihrer geistlichen Vorsteherin? Lag es an dieser schwierigen Mission? Natürlich kostete solch eine Arbeit viel Kraft, aber es war ja nicht ihr erster Auftrag. War Ulrich der Grund? Wie er sich der Reihe nach an verschiedenen Mädchen verging? Oder spielte da noch etwas anderes hinein?
Agnes zermarterte sich das Hirn. Unruhig ging sie im Zimmer auf und ab, schaute aus dem Fenster, setzte sich wieder. Was war nur mit ihr los? Welche Ziele hatte sie? Welche Wünsche? Was erwartete sie von sich selbst?
Als eine Mitschwester kam und sie bei Maria ablöste, hatte sie einen Entschluss gefasst. Sie musste dringend jemanden hier in Rinteln aufsuchen. Sie hoffte, er nähme sich auch die Zeit. Nein, sie war sich sicher, dass er sich die Zeit nähme.
Bei Agnes’ Onkel
Agnes, Ludolf, Johannes vom Domhof und Agnes’ Onkel Barthold saßen bei der Abendmahlzeit im Burgsitz der Ecksten. Gemeinsam besprachen sie die Ereignisse des Tages. Agnes erzählte von Marias Anfall und Ludolf von der Verhaftung der Holzdiebe. Der Onkel und Ludolfs Vater waren froh, künftig keine Angst mehr haben zu müssen, dass auch in ihren Wäldern Bäume unrechtmäßig geschlagen und dann verschachert wurden.
»Ist Hartwich denn auch der Mörder des jungen Nachtigal?«, fragte Barthold.
»Das wissen wir nicht«, antwortete der junge Mann.
»Habt ihr denn die Gefangenen am Nachmittag noch befragt?«
Ludolf nickte heftig. »Sicher. Auch der Bürgermeister war dabei. Aber nur der eine Holzfäller hat ausgepackt. Er hat sehr genaue Angaben machen können, sodass wir sicher sind, dass dieser Trupp die Diebstähle begangen hat. Nur Hartwich und die anderen schweigen eisern. Aber das nützt ihnen wenig.«
»Was habt ihr beiden nun vor?«
»Wir müssen herausfinden, mit wem Hartwich verbündet ist. Dann wissen wir möglicherweise mehr.«
»Habt ihr denn schon einen Verdacht?«
Ludolf und Agnes schauten sich kurz an. Hier konnten sie zum Glück offen reden. Hier mussten sie keine Angst haben, dass jemand dieses Gespräch zum Anlass nähme, sie mundtot zu machen. Die junge Frau war schon den ganzen Abend über sehr ruhig gewesen und gab Ludolf ein Zeichen, er solle antworten.
»Hartwich und Ulrich von Engern sind gute Freunde. Wie es scheint, sind die beiden auch geschäftlich miteinander verbunden. Unsere Vermutung ist, dass Ulrich das gestohlene Holz weiterverkauft. Aber er soll noch einen unbekannten Partner haben. Über den wissen wir gar nichts.«
Barthold hob warnend den Finger: »Seid vorsichtig! Dieser Ulrich von Engern ist ein hinterhältiger Typ. Ich kenne ihn schon ein paar Jährchen. Nach außen ist er immer freundlich und hilfsbereit, wenn es aber um seinen Vorteil geht, ist er ein Egoist und vergisst alle Verabredungen.«
»Das haben wir auch schon festgestellt.« Ludolf erzählte, wie Ulrich zu Anfang versprochen hatte zu helfen, wann immer es nötig wäre, aber wie sich dann diese Beteuerungen in Luft aufgelöst hatten.
Schweigend aßen sie weiter. Nur Agnes hatte ihren Teller schon zur Seite geschoben. Das Rübengemüse und der Braten waren kaum angerührt, sie hatte nur kleine Bissen probiert. Seit dem Nachmittag, seit Marias Anfall, hatte sie das Gefühl, ein dicker, schwerer Stein läge in ihren Eingeweiden. Auch das schmackhafteste Essen konnte bei ihr im Moment keine Hungergefühle wecken. Sie fror trotz
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