Die heimliche Braut
Atem.
“Aber, aber!”, sagte ihr Onkel leise und streichelte ihr übers Haar. “Wer wird denn weinen! Eleanor wird in Sicherheit sein, und ich werde Fredella heiraten, und du selber, du wirst einen braven Gatten bekommen. Je mehr Zeit ich mit Sir Nicholas verbringe, desto besser gefällt er mir.”
“Mir auch”, flüsterte sie.
Nicholas steckte den Kopf in Mariannes Gemach. Er wollte mit seiner Schwester noch ein Gespräch unter vier Augen führen, bevor sie am folgenden Tage heim gen Lochbarr reisen sollte.
Mit aufgelöstem Haar saß sie da, beschienen vom Strahl der Spätnachmittagssonne, und schaukelte mit dem Fuß die Wiege, in der ihre kleine Tochter schlummerte. Unter dem linken Arm hielt Marianne einen Spinnrocken mit Rohwolle, und zu ihrer Rechten baumelte eine Spindel, welche das straff gespannte Garn aufspulte. Während sie spann und gleichzeitig ihr Kind dabei anschaute, sang sie leise ein Schlaflied.
Sie sah so ruhig und friedlich aus, so glücklich und mit sich und der Welt zufrieden – ganz anders als jene Marianne, die einmal in genau dieser Kammer gestanden und ihn beschworen hatte, die Pläne, welche er für sie ersonnen, doch abzuändern.
Marianne schaute auf und bedachte ihn mit einem Willkommenslächeln. Es erinnerte ihn daran, wie sehr er Gott jeden Tag aufs Neue dafür danken musste, dass sie dem Bruder die ursprünglichen Absichten verziehen hatte.
“Ich fürchtete bereits, Seamus nähme dich den ganzen Tag in Beschlag”, sagte sie leise, während er behutsam ins Zimmer trat.
“Wie’s scheint, bin ich nicht so interessant wie die Kätzchen im Stall”, gab er zurück und näherte sich der Wiege. Er hatte nämlich gleich nach seiner Rückkehr zur Burg nachgesehen, wo sein Neffe wohl steckte und was er trieb. “Wo ist Adair?”
“Der macht alles zum Aufbruch bereit für morgen früh.”
“Ihr könnt gerne bis zum Erntefest bleiben.”
Marianne schüttelte den Kopf. “Hab Dank, Nicholas, aber Adair feiert die Ernte lieber daheim. Er besucht dann das Grab seines Vaters zu dessen Todestag.”
Nicholas nickte stumm und sah hinunter auf das in der Wiege ruhende Mädchen. Die Wimpern der Kleinen breiteten sich über die weichen Wangen; ihr Mündchen rundete sich zu einem Bogen. Wie ein schlafender Engel sah sie aus, so dass Nicholas hoffte, es möge auch ihm vergönnt sein, einmal auf ein eigenes, auf solch himmlische Weise schlummerndes Kind blicken zu können.
Falls Riona sein Kind unter dem Herzen trug, würde es hoffentlich später seiner Mutter ähnlich sehen und ihren Kampfgeist, ihre resolute Art und ihren Liebreiz haben.
Eines vor allem war gewiss: Sollte ihnen ein gemeinsames Kind geboren werden, so würde er es voller Stolz als seines anerkennen!
Marianne wies auf einen zweiten Stuhl beim Fenster. “In den Augen meines Sohnes bin ich mittlerweile noch erheblich weniger kurzweilig als du. Ich weiß also genau, wie du dich fühlst.”
“Du bist seine Mutter, und er hat dich von Herzen lieb”, entgegnete Nicholas, indem er sich setzte.
“Wohingegen du sein kühner, famoser Onkel bist, der so manches Turnier gewann”, konterte sie, wobei sie die Spinngeräte beiseite legte. In ihren Augen, die denen ihrer verstorbenen Mutter glichen, glomm ein schelmisches Funkeln auf. “Sein furchtloser, einzigartiger Onkel, der gekommen ist, seine Schwester um einen Gefallen zu bitten?”
Nicholas spürte, wie er errötete. Nun, da der Augenblick nahte, sie um ihre Meinung zu den um ihn wetteifernden Kandidatinnen zu bitten, kam er sich außerordentlich albern und sehr jung vor, obwohl er ganze zehn Jahre älter als Marianne war. “Ich würde gern wissen, was du von den verbliebenen Aspirantinnen hältst.”
“Dann stimmt es also, dass es zuvor noch mehr waren?”
“Ursprünglich zehn.”
Mariannes Augen weiteten sich. “Zehn? Ich bin beeindruckt. Nicht dass ich zweifeln würde, dass es sich wohl lohnte, um einen so hervorragenden Ehrenpreis wie dich zu werben …”
Abrupt stand er auf und trat ans Fenster.
“Was ist los, Nicholas? Ärgert es dich, dass ich dich als Preis bezeichnete?”
“Das bringt mich ein wenig aus der Fassung, ja”, räumte er ein, während er Polly zusah, die gerade gemächlich über den Burghof zur Küche spazierte, unter dem Arm einen Korb mit Bohnen. Es schien, als habe sie es nicht besonders eilig, ihre Arbeit zu erledigen.
“Dann weißt du ja jetzt in etwa, wie ich mich fühlte, als du mich damals mit diesem Hamish Mac Glogan
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