Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
das Geringste spürte.
Im unteren Flur schrie eine Frau.
„Mom!“, rief Danika, die ihre Stimme sofort erkannte. „Ich bin hier oben.“
„Danika?“
Noch ein Schrei.
„Danika, Baby, lauf weg, bring dich in Sicherheit!“
Und sie lief – aber nicht weg, sondern vorwärts. Einen Moment später stand sie keuchend und schwitzend in einem Schlafzimmer. Ihre Mutter und ihre Schwester waren an die Heizung gekettet, ihre Großmutter ans Bett, die Beine eingegipst.
Reyes war gerade dabei, die Ketten aufzubrechen. Immer noch war statt seines Gesichts nur der Schädel zu sehen. Er blutete und zitterte am ganzen Körper. Sie hätte nicht an ihm zweifeln sollen – und würde es nie wieder tun. Selbst in seinem jetzigen Zustand wollte er nur ihr Bestes. Die drei Frauen traten nach ihm, zitternd vor Angst, aber er ließ sich nicht beirren, bis er sie schließlich befreit hatte.
Danika sauste zu ihnen, kniete sich vor sie hin und nahm ihre Mutter und ihre Schwester gleichzeitig in die Arme. Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen und vermischten sich mit denen der beiden.
„Danika, er ist … er ist …“, stammelte ihre Schwester.
„Ich weiß, ich weiß. Hab keine Angst. Er wird dir nichts tun. Er ist ein guter Typ.“ Ihre Familie lebte. Sie waren wieder vereint, lagen sich in den Armen. Danika war überglücklich, unsagbar erleichtert und ergriffen, auch wenn ihr der Schock noch in den Gliedern saß.
„Ich habe geglaubt, du wärst tot“, brachte ihre Mutter zwischen Schluchzern hervor. „Sie haben mir gesagt, dass du tot bist.“
„Ich bin jetzt hier, ich bin hier.“ Sie wischte sich übers Gesicht, ließ die beiden Frauen los und richtete sich auf. „Wir werden uns nie wieder trennen, das schwöre ich. Es tut mir so leid, dass ich so lange gebraucht habe, euch zu finden.“
Jetzt waren sie alle drei auf den Beinen, wenn auch wackelig, und gingen zu dem Bett, auf dem Grandma Mallory lag. Auch ihr liefen die Tränen über die eingefallenen Wangen. Danika umklammerte die zitternde Hand der alten Frau.
„Was ist mit dir passiert?“, flüsterte sie und fuhr mit den Fingern über eines der eingegipsten Beine.
„Das Monster mit den Flügeln“, schniefte Mallory. „Er hat mich gefunden, überwältigt und … und …“ Ihr Kinn zitterte.
Danika hätte ihrer Großmutter am liebsten gesagt, sie bräuchte nicht weiterzusprechen, wenn sie nicht wollte, aber sie musste wissen, was passiert war. Also legte sie sich die Hand auf den Mund, damit ihr nicht Worte entschlüpften, die sie jetzt noch nicht sagen wollte. Dann nickte sie Mallory zu, um ihr zu signalisieren, dass sie zuhörte.
„Er hätte mich töten können, nachdem er mich zu Boden geschleudert hatte, aber das tat er nicht. Er hat mich über seine Schulter geworfen und in dieses Gebäude getragen. Ich glaube, ich habe früher von ihm geträumt. Ich versuche seit so langer Zeit schon, diese Träume auszublenden, dass sie mir nur noch wie Nebelfetzen im Sturm vorkommen, aber ich vermute, dass auch er mich während dieser nächtlichen Horrorszenen gesehen hat, denn er hat mich angeschaut, als würde er mich kennen. Ich weiß nicht, warum, aber ich hab ihm gesagt, er solle seine vergangenen Fehler nicht noch einmal begehen. Daraufhin ist er zurückgewichen und hat mich hiergelassen.“
Tränen strömten ihr über das Gesicht. Lieber Gott. Die ganze Zeit über hatten sie beide nicht ohne Grund geträumt. Welches Unglück hätte vermieden werden können, wenn sie, Danika, ihre Träume analysiert hätte, statt sie zu fürchten? Doch wahrscheinlich spielte es gar keine Rolle. Letzten Endes hatten Mallorys Träume sie vielleicht sogar gerettet. Und Danika hatte immer noch die Möglichkeit, Reyes zu retten – ein für alle Mal.
„Es tut mir leid, es tut mir so leid“, sagte ihre Großmutter. „Dafür ist jetzt keine Zeit. Du möchtest wissen, wie ich hierher gelangt bin. Ich konnte mich nicht bewegen, saß in diesem Gebäude fest. Die Kerle mit den Waffen waren mir vermutlich gefolgt, denn sie fanden mich etwas später. Deine Schwester und deine Mutter hatten sie bereits in ihrer Gewalt.“
Danika ließ ihre Hand sinken und ihren Blick von einem Familienmitglied zum anderen wandern. Alle drei weinten, waren blass und hatten Prellungen unter den Augen. „Ist eine von euch …?“
„Nein“, antwortete ihre Schwester Ginger. „Nein, uns geht es gut. Die meiste Zeit haben sie uns allein gelassen. Sie haben uns zu essen gegeben und dafür
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