Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
hatten. Niemand war zu ihm gekommen. Ob sie die seltsame Frau aufstöbern wollten, der er in der Gasse begegnet war? Ob Lucien auf dem Hügel irgendwelche Hinweise auf Jäger gefunden hatte?
Aeron hatte seine Meinung nicht geändert; er glaubte nicht, dass Olivia mit ihnen unter einer Decke steckte. Allerdings bestand die Möglichkeit, dass sie ihr hierher gefolgt waren. Immerhin waren Attacken aus dem Hinterhalt ihre Spezialität.
Und ehrlich gesagt wäre ein Sturm auf die Burg das perfekte Ende dieser furchtbaren Nacht.
Vor einer halben Stunde hatte er nach Legion gerufen, um sie davor zu warnen, was hier vor sich ging. Normalerweise hörte sie seinen Ruf, ganz gleich, wo sie war, und kam sofort zu ihm. Diesmal nicht. Wie Lucien konnte sie sich allein durch ihre Gedanken von einem Ort zum anderen beamen, doch sie war nicht erschienen.
War sie verletzt? Oder gefangen? Er war nahe daran, sie offiziell zu beschwören, genauso, wie sie es ihm beigebracht hatte – auch wenn er bis zu Olivias Erklärung nicht verstanden hatte, was ihre Worte bedeuteten –, denn das wäre etwas, das sie nicht ignorieren könnte. Je ernsthafter er diese Möglichkeit erwog, desto klarer wurde ihm, dass der Engel – gefallen oder nicht – aus der Burg verschwunden sein müsste, ehe Legion sich wohl genug fühlen würde, um zurückzukommen. Er hatte ihre Angst noch deutlich vor Augen, und wie sie jedes Mal gezittert hatte, wenn sie das Wort „Engel“ auch nur aussprach.
Er hätte Olivia bitten können, der kleinen Dämonin nicht länger wehzutun. Aufzuhören mit dem, was Legion solche Qualen bereitete – was immer das sein mochte. Das Gleiche galt für seine Freunde, auch wenn die anderen Krieger Olivia niemals gespürt hatten. Doch er hatte sie nicht darauf angesprochen. Sie erholte sich von ihren Verletzungen, und er wollte sie nicht dabei stören.
Vor allem, da sie schon so viel für ihn getan hatte. Nicht weich werden.
Also hatte er auch Legion in Ruhe gelassen. Fürs Erste.
Nicht, dass er sich vorstellen konnte, wie die zerbrechliche Olivia irgendjemandem wehtat. Auch nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte – wie groß die auch sein mochten. Wenn es zu einem Kampf käme, hätte Legion ihre Giftzähne binnen Sekunden tief in Olivias Halsschlagader versenkt und sie bewegungsunfähig gemacht.
Das ist mein Mädchen, dachte er und musste grinsen. Doch sein Grinsen war nicht von Dauer. Der Gedanke an eine sterbende Olivia fühlte sich ganz und gar nicht gut an. Sie hatte sich dem Befehl des hohen Rates widersetzt und ihn nicht getötet. Nicht, dass sie das hätte schaffen können, aber sie hatte es nicht einmal versucht. Und genauso wenig hatte sie Legion etwas angetan, obwohl sie dazu vermutlich große Lust gehabt hatte. Sie wollte nichts anderes, als die Freuden des Lebens zu genießen, die ihr bisher eindeutig verwehrt worden waren.
Sie verdiente es nicht, zu sterben.
Einen winzigen Moment lang erwog er, sie bei sich zu behalten. So ruhig wie Zorn in ihrer Gegenwart war – weder verlangte er von ihm, sie für Verbrechen zu bestrafen, die sie vor zwanzig Jahren begangen hatte, noch für solche, die erst einen Tag oder eine Minute her waren –, wäre sie die ideale Gefährtin für ihn. Sie könnte seine Bedürfnisse befriedigen, so wie Paris gesagt hatte.
Bedürfnisse, die zu haben er geleugnet hatte. Allerdings konnte er nicht leugnen, dass sich irgendetwas in ihm geregt hatte, als er sich neben sie gehockt hatte. Irgendetwas Heißes und Gefährliches. Sie hatte nach Sonne und Erde gerochen, und ihre Augen, so blau und rein wie der Morgenhimmel, hatten ihn voller Vertrauen und Hoffnung angesehen. Als wäre er kein Zerstörer, sondern ein Retter. Und es hatte ihm gefallen.
Du Idiot! Ein Dämon, der sich einen Engel hält? Das ist ja wohl ein schlechter Witz. Außerdem ist sie hier, um Spaß zu haben, und du, mein Freund, bist das absolute Gegenteil von Spaß.
„Aeron.“
Endlich. Neuigkeiten. Froh darüber, Olivia aus seinen Gedanken verbannen zu können, wirbelte er herum und erblickte Torin, der mit einer Schulter an der Wand lehnte. Die behandschuhten Arme hatte er vor der Brust verschränkt, und auf seinen Lippen lag ein respektloses Grinsen.
Als Hüter der Krankheit konnte Torin kein anderes Wesen berühren, ohne eine verheerende Plage auszulösen. Die Handschuhe dienten allen anderen zum Schutz.
„Und wieder einmal hält ein Herr der Unterwelt eine Frau in seinem Zimmer gefangen und fragt sich, was er mit ihr
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