Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
salbungsvolle Gehabe ging Ludolf nun wirklich auf die Nerven. »Wieso sagt Ihr endlich?«
»Was sind die Herren vom Berge? Sie sind nicht mehr und nicht weniger als einfache Lehnsleute. Sie sind dem Bischof hier in Minden verpflichtet, sie sind von ihm sittlich und geistig abhängig. Aber ihr ehrgeiziges Streben ging immer danach, ihre eigene Macht zu sichern. Wie verdorben und nutzlos doch dieses Bemühen war. Aber jetzt, da die letzten Herren selbst Bischöfe geworden sind, kommt endlich zusammen, was zusammengehört. Diese Edlen wollen selbstverständlich nicht zugeben, dass sie lehnspflichtig sind. Sie wollen in ihrer Anmaßung als eigenständige Gewalt über dem Domkapitel stehen. Schon unser Herr, als er noch auf der Erde unter uns lebte, sagte über diese Art Menschen:
Ihr aber lehrt: Es ist erlaubt, dass einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt: Was ich dir schulde, ist Korbán, das heißt: eine Opfergabe. Damit hindert Ihr ihn daran, noch etwas für Vater oder Mutter zu tun. So setzt Ihr durch Eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft
. Der Kirchenvogt will eine der Mutter Kirche gewidmete, dieser rechtmäßig zustehende, ihr aufgrund göttlichen Gesetzes gehörige Gabe vorenthalten. Der elende Versuch, sein Geschlecht fortzuführen, ist nicht möglich. Die Menschen müssen endlich anerkennen:
Extra ecclesiam nulla salus
. 32 Schon der heilige Augustinus wusste ganz genau, dass das Königreich Gottes nur in unserer allerheiligsten Kirche Wirklichkeit wird. Das ist unser Ziel. Dahin geht all unser Streben, unser Hoffen, unsere ganze Kraft. Dafür arbeiten wir.«
Der Priester hielt inne. Erschrocken merkte er, wie viel von seinen persönlichsten Gedanken er einem Fremden preisgegeben hatte.
Ludolf fand es sehr aufschlussreich, was dieser Priester über seinen geistlichen und seinen weltlichen Herrn dachte. »Aber der Vogt lebt doch noch. Auch wenn er heute noch keine Kinder hat, könnte er durch eine entsprechende junge Frau noch mehrere Kinder bekommen.«
»Das lässt unser Gott sicherlich nicht mehr zu. Warum soll er über Jahrzehnte einen Nachkommen verhindert haben und es nun plötzlich zulassen? Der heilige Augustinus sprach davon in seinem Buch
De praedestinatione sanctorum
. 33
Erwählte sind erwählt kraft der Vorherbestimmung, mit der Gott seine künftigen Taten vorherweiß. Erwählt sind sie kraft der Berufung, mit der Gott das, was er vorherbestimmt hat, auch ausführt. Denn diejenigen, die er vorherbestimmt hat, hat er auch berufen, berufen seinem Vorsatz gemäß. Andere nicht
.«
»Ihr seid also der Überzeugung, dass es sein Schicksal ist, keine Kinder zu haben.«
»Nein, nein. Nicht Schicksal. Bestimmung. So wie Johannes der Täufer von Gott zum Propheten vorherbestimmt wurde, so sind dem Kirchenvogt die Kinder versagt.«
»Wenn es jetzt aber einen Erben gäbe? Von einem der anderen Brüder?«
»Ihr vergesst, sie alle gehören dem geistlichen Stand an.«
»War das schon jemals ein Grund für einen Geistlichen, keine Kinder zu haben?« Ludolf konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Caspar von Ilse wurde weiß vor Wut und ging drohend auf Ludolf zu. Dieser zuckte zusammen und sprang auf. Damit hatte er nicht gerechnet. Der Priester blieb zwei Schritte vor dem Besucher stehen. Zischend presste er zwischen seinen Zähnen heraus: »Ihr versündigt Euch. Ihr lästert Gott und sein Gesetz. Ihr sprecht von fehlgeleiteten Seelen, die nicht das Recht haben, als Priester zu amtieren.«
Ludolf sagte kleinlaut: »Bitte entschuldigt! Ich wollte keinem der vorbildlichen Geistlichen aus der Familie vom Berge zu nahe treten.«
Der Kustos beruhigte sich unverzüglich. Er schritt zu dem Holzkreuz an der Wand.
»Aber gestattet mir bitte noch eine Frage, Euer Ehrwürden«, sagte Ludolf.
Ohne seinen Blick von dem Altarbild zu wenden, nickte der Kustos zustimmend.
»Wie kann ich mir vorstellen, dass Gott das verhindert? Ich meine, dass ein Nachkomme als Erbe geboren wird.«
»Gottes Wege sind für uns zu hoch. Wir sind nicht dafür geschaffen. Wir verstehen sie einfach nicht. Unser Verstand ist viel zu klein, um uns vorstellen zu können, was er alles vermag. Wie der heilige Paulus es so treffend ausdrückte:
Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unausspürbar seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt oder wer ist sein Ratgeber geworden
? Deshalb müssen wir sehr genau darauf achten, wie der Herr uns gebraucht, um seinen Willen zu vollenden. Auch wenn wir seine Pläne
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