Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
nicht erkennen oder verstehen, wir müssen ihm bedingungslos gehorchen. Es ist sein vollkommener Wille.«
Es klopfte an der Tür. Der Kustos reagierte nicht. Er war ganz in seinen Gedanken versunken. Es klopfte abermals.
»Werter Pater«, Ludolf versuchte, ihn auf den Besucher aufmerksam zu machen.
»Ja, ja. Ich habe es vernommen. Ist schon gut.« Damit ging er rasch zur Tür. Der Novize, der Ludolf hierhergeführt hatte, übergab Caspar von Ilse einige Dokumente und verschwand sofort wieder. Die Papiere sahen genauso aus wie die Listen, die Mechthild Fischer ihnen übergeben hatte. Die Listen aus dem Archiv wurden daneben gelegt. Beide Männer beugten sich über den Tisch und verglichen die Eintragungen miteinander. Es war überall mit der gleichen Handschrift geschrieben worden – es war offensichtlich die vom Amtmann Josef Resenbach. Sie zählten die Zeilen nach. Die Anzahl der abgabenpflichtigen Hofstellen war gleich. Auch der Zehnte war jeweils in der gleichen Höhe eingetragen. Die Summe der Abgaben für den Vogt, die den Abschluss auf der Liste für die Burg bildete, hatte Ludolf schon mehrfach nachgerechnet. Eine entsprechende Summe für das Domkapitel gab es bei der Mindener Abrechnung. Auch die war in Ordnung, auf den Heller genau. Der einzige Unterschied lag in der Unterschrift und dem Siegel. Die einen waren von Heinrich Wiegand bestätigt, die anderen vom Kustos.
»Ich kann nichts Auffälliges finden«, musste der Priester zugeben. »Meiner Überzeugung nach sind beide Abrechnungen gleich und absolut richtig geführt. Ich hätte mich auch gewundert; denn ich prüfe alle Abgaben sehr genau. Das ist für mich eine heilige Pflicht. Es geht hier immerhin um den Besitz unseres Herrn.«
Ludolf nahm sich die beiden entsprechenden Aufstellungen des Jahres 1381 und setzte sich auf den Stuhl. Was war an diesen Listen so wichtig, dass Resenbach sie unbedingt haben wollte? Es stimmte doch alles! Er ging die Listen abermals durch. Verglich Hof für Hof, Buchstabe für Buchstabe, rechnete nach. Aber was war das hier? In der elften Zeile, bei der Familie Buschmann. Kein Wunder, dass es beim Vergleich nicht aufgefallen war. Ein recht kleiner, aber bedeutender Unterschied. Er stand auf, um auch die anderen Listen zu überprüfen. In jedem Jahr war der Eintrag für den Hof Buschmann falsch. Man sollte am besten im Archiv überprüfen, wann der Betrug begann. Ludolf überschlug in Gedanken die Beträge. Ein hübsches Sümmchen kam da über die Jahre zusammen. Damit konnte man es sich schon gut gehen lassen. Dafür lohnte sich für einige schon ein Mord.
Was für eine Entdeckung! Agnes würde große Augen machen, wenn er ihr davon berichtete! Ludolf kontrollierte, ob noch mehr falsche Eintragungen vorhanden waren. Nein, nur diese eine. Gerade so viel, dass es nicht offensichtlich war und mit der Zeit auffiel. Schlau gemacht.
Ludolf wollte sich gerade umdrehen, um seine Entdeckung dem Kustos zu zeigen, als sein Blick auf die jüngste Liste aus dem Archiv des Domkapitels fiel. Plötzlich wurde ihm bewusst, was er da in den Händen hielt. Sein Herz raste wie wild. Ihm wurde schwindelig, und er musste sich rasch wieder setzen. Mit einem Mal passten die Einzelteile des Rätsels zusammen. Es war wie ein Türschloss, das nur durch das Drehen des richtigen Schlüssels geöffnet werden kann. Alles greift ineinander, bewegt sich und gibt den verborgenen Inhalt preis. Der Mord an Kuneke, die Listen, der Schmied, der Amtmann. Jetzt wurde einiges klar. Er musste so schnell wie möglich mit Agnes und dem Bischof reden. Dringend!
»Was ist mit Euch?«
Ludolf zuckte erschrocken zusammen. All seine Gedanken drehten sich nur noch um den Mord an Kuneke und um ihren Mörder. Er hatte nicht bemerkt, dass Caspar von Ilse neben ihn getreten war.
»Ihr seht so blass aus. Ist Euch nicht gut? Habt Ihr etwas gefunden?«
Ludolf atmete tief durch. Er musste sich zur Ruhe zwingen. Aber seine Stimme zitterte, als er antwortete: »Ja ... äh ... nein. Ich meine ... Mir ist nicht gut. Ich habe heute noch nichts Richtiges gegessen. Sonst ist nichts weiter. Alles in Ordnung.«
Der Pater schaute den jungen Mann misstrauisch an. »Wartet, ich lass Euch etwas zur Stärkung kommen.« Schon ging er zur Tür, um den Novizen zu rufen.
Aber Ludolf warf rasch ein: »Nein, nein, vielen Dank. Das ist nicht nötig. Mir geht es schon wieder besser. Ich habe Eure wertvolle Zeit lange genug in Anspruch genommen.«
Daraufhin stand er mit weichen Knien auf und
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